„A Eitrige mit an Gschissenen und a Sechzehnerblech.“ Wer so am Würstelstand seine Bestellung abgibt, ist alles mögliche – aber ziemlich sicher kein Wiener. Dem stimmt auch Sprachwissenschafterin Lisa Krammer zu. In ihrem im Dudenverlag erschienenen Buch, „Wienerisch: Zwischen ur leiwand und eh wuascht“, widmet sie dem Mikrokosmos Würstelstand gleich das erste Kapitel.
„Würstelstand, Friedhof, Kaffeehaus – das sind zwar alles Alltagsplätze, aber in Wien tatsächlich von zentraler Bedeutung“, erklärt sie im Gespräch mit dem KURIER. Umso wichtiger also, mit Stereotypen rund um den Würstelstandjargon aufzuräumen.
Wobei hinter dem vermeintlichen Faux Pas in Sachen Wurst ja an sich eine Liebeserklärung an den Dialekt der Bundeshauptstadt steckt – insbesondere vonseiten unserer deutschen Nachbarn.
Hassliebe
Deutlich anders sieht es innerhalb der österreichischen Grenzen aus, in Beliebtheitsrankings dümpelt das Wienerische immer leicht zwider auf den hinteren Plätzen herum. „Wien als Großstadt wird nun einmal geliebt und gehasst – und das Wienerische als charmant oder arrogant bzw. derb wahrgenommen“, sagt Krammer. Allzu schnell oder streng sollte man aber, zumindest in Ober-, Niederösterreich und dem nördlichen Burgenland nicht urteilen – immerhin gehört man zur selben Dialektfamilie, dem Mittelbairischen.
Zwischen Schmäh und Grant
Eines steht fest: Als Wienerin und Wiener lebt man in einem permanenten Widerspruch. Zum einen eilt der Heimatstadt der Ruf voraus, zu den unfreundlichsten der Welt zu zählen (siehe Expat-Rankings 2022, 2021), und über einen an skatologischen (lt. Duden „eine auf den Analbereich bezogene Ausdrucksweise bevorzugend“) Ausdrücken reichen Schimpf-Wortschatz zu verfügen.
Zum anderen gilt – zumindest im Ausland – das Wienerische, mit seinen gezogenen Silben, seinen beinahe schon notorisch eingesetzten, verkleinernden -erl und seinem Schmäh als charmant, oder – Jössasna! – gar als besonders herzig. Die Expertin bezeichnet das als die „wahrgenommene Polarität von Schmäh und Grant“, in der Wienerin und Wiener Zuhause sind. „Es wird gemotschkert, geraunzt und gesudert, aber immer auch mit einem gewissen Augenzwinkern. Gerade dieses Denken in Polaritäten aufzubrechen, war ein Anliegen des Buches.“
Charmant a Bankl reißen
Eine unglaubliche Kreativität gibt es auch im Umgang mit dem Tod. „Das ist ja auch ein bisschen ein Klischee, dass die Wienerinnen und Wiener einen Hang zum Morbiden, zum Makaberen haben. Gleichzeitig ist aber der damit verbundene Metaphernreichtum enorm.“ In Wien könne man sich – jeweils mit demselben Endergebnis – unter anderem dastessen, a Bankl reißen, die Erdäpfel von unten anschauen oder den Holzpyjama anziehen.
„Auch an der Redewendung den 71er nehmen sieht man sehr schön die Verwobenheit von Sprachlichem und Kulturellem“, erklärt Krammer. Denn dass die Straßenbahnlinie 71 zum Zentralfriedhof fährt, gehört jenseits des Speckgürtels nicht unbedingt zum Allgemeinwissen. „Aber auf diese Weise begegnet man dem Tod mit einem makabren Schmäh und nimmt ihm so den Schrecken.“ Ob das nun im Umkehrschluss bedeutet, dass die Wienerinnen und Wiener den Tod mehr fürchten als alle anderen, sei dahingestellt.
Letztendlich sei aber das Wienerische, seine gewisse Wurschtigkeit, sein Schmäh und sein Grant, so die Expertin, eine „Art Bewältigungsstrategie fürs Leben.“ Oder wie es Arthur Schnitzer formulierte: „Die Kennworte des Wieners: Wie komm denn i dazu? Es zahlt sich ja net aus! Tun S Ihnen nix an!“
Zum Thema: Ganz schön zwider: Warum Österreich das Land der Grantler bleibt
Ursuper, Oida!
Besorgten Motschkerern zufolge steht das Wienerische zwar kurz davor, auszusterben. Eine unbegründete Angst, meint Krammer: „Sprache verändert sich permanent, für die Sprachwissenschaft ist das völlig normal. Es wäre besorgniserregend, wenn das Gegenteil der Fall wäre. Denn ist Sprache nicht mehr dynamisch, dann ist sie auch nicht mehr funktionsfähig.“
Auch wenn das näselnde Burgtheaterdeutsch, das man vielleicht noch aus alten Fernsehsendungen der 1960er-Jahre kenne, aus dem Alltag verschwunden sei, würden jüngere Generationen den Dialekt mit neuen Kreationen lebendig halten. Bestes Beispiel: Der Wiener-Denglische Wortmix urchillig oder urnice. Den würden auch Jugendliche, die nicht im Wiener Dialekt sozialisiert worden sind, locker in ihre Gespräche einstreuen – ganz zu schweigen von Klassikern wie leiwand oder dem universell einsetzbaren Oida.
Die reine Dialektverwendung in Großstädten nehme zwar ab, aber das sei ein genereller Trend, sagt Krammer. Entscheidende Faktoren seien Peergroup und Medienkonsum. Wenn TV-Held oder -Heldin etwas krass, niedlich oder lecker finden, dann überrascht es wenig, wenn junge Fans das in ihren Wortschatz übernehmen.
Pantscherl vs. Affäre
Wolle man auf Zwischentöne nicht verzichten, führe ohnehin kein Weg an Dialektausdrücken vorbei, sagt Krammer. „Denken Sie einmal an das nicht mehr so gebräuchliche Gspusi oder Pantscherl. Im Standarddeutschen würde man wohl Verhältnis oder Affäre sagen. Aber die Nuancen, die gewisse Verharmlosung und das Augenzwinkern kann man so nicht ausdrücken.“
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