Eine Jugend im Gefängnis: "Gewalt ist die wichtigste Währung"
Am vergangenen Sonntag suchte die Wiener Polizei fieberhaft nach dem Mörder der siebenjährigen Hadish. Eine Woche später sitzt der 16 Jahre alte Robert K. in der Justizanstalt Josefstadt in Untersuchungshaft. Er soll in einem ersten Verhör angegeben haben, mit einem Brotmesser auf seine junge Nachbarin eingestochen zu haben. Dem Mädchen wurde fast der Kopf abgetrennt.
Ein psychiatrischer Gutachter muss im Vorfeld feststellen, ob Robert K. geistig gesund ist. Davon hängt ab, ob er im Fall einer Verurteilung eine Haftstrafe bis zu 15 Jahren verbüßen muss oder als geistig abnormer Rechtsbrecher im Maßnahmenvollzug betreut wird.
Mangelnde Therapie
„Bezüglich des Strafausmaßes wurde bisher viel spekuliert, das nicht unbedingt der Wahrheit entsprechen muss. Sollte er aufgrund seiner Diagnose in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher kommen, dann wird er erst entlassen, wenn keine Gefährlichkeit mehr festgestellt werden kann“, sagt der Kriminologe und ehemalige Leiter der Justizanstalt Wien-Mittersteig, Wolfgang Gratz. Der Experte vermutet, dass Robert K. bei einem Schuldspruch in die Justizanstalt Gerasdorf gebracht würde. Die Einrichtung ist als einzige auf jugendliche Straftäter spezialisiert und hat laut Gratz gute psychologischen Therapieangebote – die aber immer noch nicht ausreichend wären.
Für Probleme könnten laut Gratz vor allem andere Häftlinge sorgen: „Ob Insassen körperlich bedroht werden, hängt natürlich von der Art des Delikts ab. Gerade bei Verbrechen mit Kindern kommt es oft zu Problemen. Solche Menschen werden sehr schlecht akzeptiert. Trotzdem kann man diese Insassen nicht ständig von allen anderen abschotten.“ Eine gewisse psychische Abstumpfung sei zu erwarten, vor allem wenn man eine lange Haftstrafe in einem jungen Alter verbüßt.
Lange Haftstrafen in der Jugend – das kommt äußerst selten vor. „Wenn Jugendliche in Gefängnissen landen, hatten sie eine Kindheit, die wir uns alle nicht wünschen“, sagt Klaus Priechenfried , Leiter des Vereins Neustart. Vernachlässigung, Misshandlungen oder Missbrauch gehen dem voraus.
Die Zeit hinter Gittern ist für sie verloren. Speziell, was das soziale Lernen betreffe, sagt Priechenfried. „In Haft gibt es zwar Ausbildungen, Schule, Freizeitgruppen und psychologische Betreuung – aber eines darf man nicht vergessen: Am Freitag um 15 Uhr werden die Zellen zugesperrt und gehen erst wieder Montagfrüh auf.“
Was sich dann in den Hafträumen abspielt, sei vor allem eines: Gewalt. „Hier finden wir impulsive, triebgesteuerte Jugendliche. Es entsteht automatisch eine Hackordnung. Und Gewalt ist die wichtigste Währung. Jugendliche lernen im Gefängnis Fähigkeiten, die man vielleicht im Krieg oder bei der Mafia braucht – aber nicht im zivilen Miteinander.“
Hohe Suizidgefahr
Sechs Monate vor der Haftentlassung beginnt Neustart mit der Betreuung der Inhaftierten. Speziell bei Jugendlichen ist die intensiv. Auch, weil sie eine völlig illusorische Vorstellung von der Zeit in Freiheit haben. „Viele stellen sich vor, eine Frau zu finden, am Land zu leben. Eine klassische Idylle. In Wirklichkeit können sie nicht einmal ihren Alltag strukturieren. Das ist eine riesige Enttäuschung. Deshalb müssen wir sie auf den Boden holen“, erklärt Priechenfried. Enge zwischenmenschliche Beziehungen sind anfangs fast unmöglich.
Direkt nach der Haftentlassung gibt es die höchste Suizidrate – und die höchste Drogen- und Alkoholrückfallsquote. Der Experte spricht sich aus diesen Gründen klar gegen Haftstrafen für Jugendliche aus. „Der einzig sinnvolle Weg ist die intensive Betreuung und Strukturen. Nur so können Jugendliche sozial lernen statt verlernen.“
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