Ein neuer Dreh für das Wiener Riesenrad
"Am Anfang überkommt einen so ein Gefühl, wie es Seeleute im ersten Stadium haben. Ein paar Schritte in dem geräumigen Waggon, der zwanzig Sitzplätze hat, und das Gefühl ist überwunden. Es war nicht einmal unangenehm, dieses Gefühl aufsteigender Schwäche, das besiegt wird, wenn man den festen Boden unter den Füßen fühlt."
Diese Zeilen in der Arbeiter-Zeitung lassen es erahnen: Ganz wohl dürfte den Teilnehmern der Jungfernfahrt des Riesenrads am 3. Juli 1897 nicht gewesen sein. Kein Wunder: Die Konstruktion war damals eine der ersten und größten ihrer Art in Europa – und eine Fahrt damit wohl der Inbegriff eines Adrenalinkicks.
Ähnlich lautende Berichte werden vermutlich auch diese Woche erscheinen. Wieder geht es um eine Jungfernfahrt. Und wieder wird Adrenalin im Spiel sein. Voraussichtlich ab Freitag kann man nämlich nicht nur in den 15 Waggons, sondern auch auf einer Glasplatte – der „Plattform 9“ – stehend Riesenrad fahren. Man hat dabei freie Sicht nach unten, gesichert ist man lediglich mit einem Seil.
125-Jahr-Jubiläum
Das Riesenrad wurde am 3. Juli 1897 nach 8 Monaten Bauzeit eröffnet. Zum ersten Mal in Bewegung gesetzt wurde es am 25. Juni 1897
– zu Montagezwecken
Die Eigentümer
Gebaut wurde das Riesenrad im Auftrag des englischen Ingenieurs Walter Bassett Basset. Anlass war das 50. Thronjubiläum von Kaiser Franz Joseph I. Bassett Basset wurde im Ersten Weltkrieg enteignet. 1919 kaufte der jüdische Geschäftsmann Eduard Steiner das Riesenrad, die Nazis rissen es sich 1938 unter den Nagel. 1953 wurde es an Steiners Töchter restituiert. Diesen kaufte es die Familie Lamac ab
Schwere Zeiten
1916 sollte das Riesenrad abgerissen werden, was aus Geldmangel aber nie geschah. Im Zweiten Weltkrieg wurde das Riesenrad durch Bomben und einen Großbrand im Jahr 1944 schwer beschädigt
Das ist definitiv nur etwas für starke Nerven. Und ein neues Kapitel in der mittlerweile 125-jährigen Geschichte des Riesenrads. Damit wird dieses – einmal mehr – neu erfunden. Denn eine gemächliche Panoroma-Fahrt alleine, die ist schon längst nicht mehr genug: Um neben den anderen, immer wilderen Attraktionen im Prater zu bestehen, braucht das Riesenrad gelegentlich einen neuen Dreh.
Nora Lamac, Geschäftsführerin des Riesenrads, formuliert es so: „Alles wird schneller und adrenaliniger. Nichts kickt uns mehr so richtig.“ Zwar müsse das Riesenrad da nicht zwangsweise mithalten: Der Umstand, dass es eines der Wiener Wahrzeichen ist, sei immerhin ein Alleinstellungsmerkmal. Aber: Die Zielgruppe für Spielereien wie die „Plattform 9“ sei bereits vor Ort. „Und je mehr Besucher wir ansprechen, desto besser.“
Zusatzangebote
Billig ist eine Fahrt mit der neuen Attraktion nicht: Das rund 15-minütige Abenteuer schlägt mit 89 Euro zu Buche. Dieser saftige Preis ist ein Brückenschlag in die Geschichte: Überlieferungen zufolge sollen Fahrten im Verhältnis zu den Löhnen einst sehr teuer gewesen sein. Dem Riesenrad haftete daher etwas Luxuriöses an. Auch deshalb wurde es zum Anziehungspunkt.
Lange verließ man sich auf die Strahlkraft des Riesenrads alleine. Erst 2002 – also vor 20 Jahren – kamen die ersten Zusatzangebote. Das Kassahäuschen wurde um Restaurant, Museum, Souvenir-Shop und Fotostation ergänzt. Kurzum: Das Riesenrad wurde stärker als Touristenattraktion aufgezogen.
Um den Wienern ebenfalls mehr zu bieten, funktionierte man fünf Waggons in Speise-Waggons um: In diesen kann man zum Beispiel frühstücken oder zum Dinieren bei Kerzenlicht einkehren. Im Lauf der Jahre machte man auch Konzerte, Hochzeiten und PR-Events möglich.
Mit der „Plattform 9“ hofft Lamac nun wieder verstärkt Wiener Publikum anzulocken. „Die Leute identifizieren sich zwar sehr stark mit dem Riesenrad. Viele fahren aber nur einmal in ihrem Leben, andere nie damit.“ Dieser Gruppe will man einen Anreiz bieten.
Bei Neuerungen sei jedenfalls Behutsamkeit gefragt: „Die Plattform stört nicht in der Optik, das war uns wichtig“, sagt Lamac. Und tatsächlich: Von unten fällt die Konstruktion nicht auf.
Auferstehung
Mit welchen Kick man wohl in 20 Jahren Besucher locken werde? Lamac hat eine klare Vorstellung: mit Augmented Reality („erweiterte Realität“). Über Spezial-Brillen könnten Betrachtern des Riesenrads historische Ereignisse gezeigt werden – etwa der Brand im Jahr 1944.
Zum heurigen Jubiläum verlässt man sich, was das Erleben von Geschichte betrifft, jedoch auf Bewährtes. Ab 25. Juni werden Schauspieler eine Woche lang rund um das Riesenrad in die Rolle historischer Persönlichkeiten schlüpfen. Aus deren Perspektive erzählen sie den Besuchern die Geschehnisse nach.
Manchmal geht es eben auch ganz ohne Adrenalin.
89 Euro
kostet eine Fahrt mit der neuen „Plattform 9“ auf dem Riesenrad. Nutzen kann man sie ab April. Nimmt man den klassischen Waggon, bezahlt man 13,50 Euro
34 Meter
ist der Olympia Looping, der heuer im Prater Station macht, hoch. Dabei handelt es sich um die höchste mobile Achterbahn der Welt. Welche neuen Fahrgeschäfte es diese Saison sonst noch geben wird, wird am Donnerstag verlautbart
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