Ein Geschäft, das in Scherben liegt
Beim ersten Mal zucken Anja und Lena noch leicht zusammen, als das Porzellan gegen die Wand knallt. Aber als die Scherben zu Boden gerieselt sind, grinsen sich die beiden Freundinnen bereits an und greifen erneut zum Geschirr. Wie eine Frisbee-Scheibe halten sie den Teller, holen Schwung – und schleudern.
Klirr!
Geschirr zerdeppern – eine Tat, mit der so manch einer wohl schon geliebäugelt hat, ohne sie am Ende durchzuziehen – ist in der Füchselhofgasse in Wien ausdrücklich erwünscht. Entweder aus Wut, oder damit Wünsche in Erfüllung gehen. "Happy Shards"(dt. "Glückliche Scherben) heißt das Unternehmen, das Raffael Tannheimer und Kerstin Ehrengruber hier seit Jahresbeginn betreiben.
Die Idee kam den Geschäftspartnern, die auch privat zusammen sind, beim Fernsehen. Konkret: Während einer Folge der Mysteryserie " Pretty Little Liars", in der Protagonistin Hanna mit ihrer Mutter Farbe, Geschirr und anderen Dinge gegen die Wand schleudert, um eine Trennung zu verarbeiten.
Versuche in der Küche
Das Geschirrzerschlagen hat Tannheimer und Ehrengruber so fasziniert, dass wenig später der erste Teller auf dem heimischen Küchenboden in Scherben lag – und eine Geschäftsidee geboren war.
Sechs Monate später ist ihr Spielraum im Souterrain eines Wiener Wohnhauses mit einem Warzenblech vor einer fünf Zentimeter dicken Schaumstoffwand ausgestattet, der Raum mit Akustikschaum verkleidet – und in den Regalen stapelt sich Geschirr, das aufs Zerbrechen wartet. Das Klassiker-Package – 15 Teller schmeißen – kostet 29 Euro. Die Happy-Box-XL mit 20-teiligem Geschirr kommt auf 49 Euro.
Mit ihrer Begeisterung für Scherben sind die beiden nicht alleine. Sogenannte "Rage Rooms" (dt. Wut-Räume) haben sich in den vergangenen Jahren in verschiedenen Ländern etabliert. 2008 wurde die "Smash Shack" in Jacksonville, North Carolina, eröffnet, in der besagte "Pretty Little Liars"-Folge gedreht wurde. (Mittlerweile wurde die Hütte jedoch wieder geschlossen.) 2011 folgte ein "Anger Room" in Dallas. Dazu kommen Wut-Räume in Japan, Kanada, Deutschland, Singapur oder Serbien.
Der Fokus liegt meist auf dem Aggressionsabbau, die Teilnehmer werden oft mit Baseballschlägern ausgestattet und dürfen dann Geschirr, Tische oder auch Fernseher zerschlagen.
Tannheimer und Ehrengruber haben sich für ein sanfteres Modell entschieden. Schläger gibt es keine. Stattdessen schlagen sie ihren Kunden vor, ihre Wünsche auf die Teller zu schreiben, bevor sie diese werfen. Lena lässt daraufhin einen Teller beschrieben mit "Weltreise" gegen die Wand segeln.
Ausgestattet sind Lena und Anja mit Schutzbrille, Handschuhen und, anfangs, mit Kopfhörern. Dann wollen sie das Klirren lieber in Originallautstärke hören. Das sei befreiender.
Haben sie davor schon einmal Geschirr zerschlagen? Anja nickt. "Nach einem Streit mit meiner Mutter. Irgendwann hat sie gemeint: ,So, wir beenden das jetzt, indem wir eine Tasse runterschmeißen.’ Also haben wir das gemacht." Lena lacht. "Der Streit war dann tatsächlich besiegelt."
Tellerschmeißen als Beziehungsrezept? Tannheimer grinst. "Wir schmeißen jeden Tag, bevor wir nach Hause gehen. Seitdem läuft’s noch besser als vorher."
Nachgefragt: "Die meisten verstecken Wut hinter einer Fassade"
Andrea Pabstist Psychotherapeutin. Sie hilft bei Depressionen, sexuellen Störungen und in Krisensituationen.
KURIER: Kann ein an die Wand geschmissenes Glas helfen, Aggressionen abzubauen?
Andrea Pabst: Wut ist ein Gefühl, das wir alle kennen. Aber die meisten Menschen verstecken es hinter einer höflichen Fassade. Konzepten, bei denen Menschen eingeladen werden, der Wut Ausdruck zu verleihen, können zu einer neuen Selbst-Erfahrung verhelfen. Wie gehe ich mit Wut um? Wo ist sie spürbar? Was macht das mit mir? Die Kombination mit „Wunsch-Erfüllung“ nimmt dem Ganzen die Schwere.
Und helfen Rituale (Wünsche aufschreiben, zerschlagen) bei der Umsetzung von Zielen?
Rituale können auf unterschiedlichste Weise gestaltet werden. Generell sind sie aber sehr wichtig für uns. Sie galten lange Zeit als veraltet, aber wir brauchen sie, weil sie uns ein Wir-Gefühl geben und das Ich-Gefühl stärken.
Bei „Happy Shards“ melden sich deutlich mehr Frauen. Was könnte ein Grund dafür sein?
Frauen tun sich leichter, über ihre Gefühle und Wünsche zu reden, als Männer. Bereits ab der Kindheit werden einem Mann Emotionen und Gefühle abtrainiert. Das gleichgeschlechtliche Vorbild spielt hier eine wesentliche Rolle. Ähnlich ist es mit dem Ausdrücken von Wünschen. Ich denke, Männer setzen sich weniger mit diesem Thema auseinander.
Interview.Andrea Pabst ist Psychotherapeutin. Sie hilft bei Depressionen, sexuellen Störungen und in Krisensituationen.
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