Reicher arbeitet bei der Beratungsstelle für Extremismus und betreut dort Jugendliche, die als Gefährder gelten. So, wie jene 14 und 17 Jahre alten Burschen, die die Polizei vor der Pride festgenommen hatte. Mittlerweile sind sie wieder auf freiem Fuß, weil sich der Verdacht gegen sie nicht erhärtet hat.
Die Ermittler veröffentlichten auch Bilder des Waffenarsenals der Jugendlichen. „Was dazu nicht erklärt wurde ist, dass die Maschinengewehre Soft-Air Gewehre, also Spielzeugwaffen waren, die ab 18 Jahren überall legal gekauft werden können“, sagt Reicher.
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Der Schaden ist laut dem Experten aber schon entstanden: „Die Geschichte des sogenannten Islamischen Staates und die Möglichkeit, in seinem Namen Anschläge zu verüben, ist attraktiv für gescheiterte Personen, die ihrem Leben durch den Tod eine Bedeutung geben wollen. Dabei geht es um negative Aufmerksamkeit. Aufgeheizte mediale Debatten darüber, wie gefährlich und radikal Jugendliche sind, machen das Ganze für sie noch attraktiver. Es war für die Jugendlichen, mit denen ich arbeite, noch nie so spannend, gegen Homosexuelle zu sein, wie seit den Berichten der letzten Woche.“
"Aufmerksamkeit war das Größte für uns"
Neben seiner Arbeit bei der Beratungsstelle arbeitet Reicher mit dem tschetschenischen Aktivisten Achmad Mitaev. Ihn kennt man von der Videoplattform TikTok, wo er mit Polizist Uwe als „Cop&Che“ Rechtsfragen erklärt. Er stimmt den Aussagen Reichers beim KURIER-Gespräch zu – und er weiß, wovon er spricht. Als Jugendlicher war er selbst in islamistische Kreise geraten: „In der Schule wurde ich vernachlässigt und von Lehrern rassistische beleidigt, war als Tschetschene ein Außenseiter. So entstehen Hass und Rachegedanken. Auch über uns gab es damals solche Zeitungsberichte von tschetschenischen Jugendbanden, vor denen angeblich sogar die Polizei Angst hat. Damit haben wir Aufmerksamkeit bekommen, es war das Größte für uns.“
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Kanonenfutter
Aus der Radikalität hat es Mitaev durch seinen Glauben geschafft: „Aber den echten, nicht den, den irgendwelche selbst ernannten Gelehrten auf Social Media verbreiten.“ Dass der IS bei Jugendlichen wieder Thema ist, beobachten die beiden zunehmend mit Sorge, wie der 24-jährige Mitaev sagt: „In meiner Generation kennt aus der Szene jeder einen, der in Syrien vom IS als Kanonenfutter verheizt wurde.“
Jene, die ausgereist sind und berichteten was dort wirklich passiert, hätten die Propaganda des IS dekonstruiert. Aber das sei eben schon zehn Jahre her. Mitaev und Reicher arbeiten auch an Schulen und klären auf. „Aufgeheizte mediale Debatten, wie in der vergangenen Woche, erschweren uns die Arbeit leider.“
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