Doppeltes Spiel am Heumarkt: Kommt doch der hohe Turm?
Für das Projekt Heumarkt und das Wiener Weltkulturerbe wird es langsam wieder ernst. Auf der Sitzung des Welterbe-Komitees Ende Juli im indischen Neu-Delhi wird über die Fortschritte Wiens im Heumarkt-Konflikt beraten; zuletzt gab es im März aber einen negativen Unesco-Bericht sowie einen Besuch der Welterbe-Hüter. Bisher lautete die Strategie von Stadt Wien und Bauherr Wertinvest, dass man einen Kompromiss anstrebe und ein Welterbe-verträgliches Projekt entwickeln möchte.
Diese Darstellung wird durch Recherchen des KURIER aber nun massiv in Frage gestellt.
Denn Investor Michael Tojner hat sein ursprüngliches Projekt, dessentwegen Wien 2017 auf die „rote Liste“ der gefährdeten Welterbe-Stätten gesetzt wurde, noch gar nicht zurückgezogen – es ist nach wie vor bei der Baubehörde eingereicht und harrt einer Bewilligung.
Und sollte Wien den Welterbe-Titel abgeben respektive ihn aberkannt bekommen, könnte es auf Basis der Flächenwidmung auch so gebaut werden.
„Nach wie vor anhängig“
Blick zurück in den Juli 2017: Die rot-grüne Mehrheit beschließt die neue Flächenwidmung für das Heumarkt-Areal. Herzstück ist ein 66 Meter hoher Wohnturm neben dem neu zu errichtenden Hotel Intercontinental (rund 38 Meter). Das Großprojekt spaltet nicht nur die Wiener Grünen, sondern lässt bei der Unesco die Alarmglocken schrillen – die „rote Liste“ ist die Folge.
Der politische Druck wird so enorm, dass Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) schließlich eine „Nachdenkpause“ verkündet. In der Folge werden mehrere Alternativ-Varianten präsentiert – darunter jene vom vergangenen Sommer: Das Projekt Heumarkt-Neu schrumpft auf einen 56,5 Meter hohen Turm samt Hotelneubau mit 47,85 Metern. Wer nun glaubt, dass Heumarkt-Neu das ursprüngliche Turm-Projekt abgelöst hätte, der irrt.
Der Umbau des Wiener Heumarkt-Areals (mit Hotel Intercontinental und Eislaufverein) an der Grenze zwischen 1. und 3. Bezirk beschäftigt die Öffentlichkeit seit 2012
Ursprünglich sollte ein Luxus-Wohnturm aus der Feder des brasilianischen Architekten Isay Weinfeld 74 Meter hoch werden. Nach massiver Kritik wegen der Lage in der Welterbe-Kernzone wurden die Höhen sukzessive reduziert.
Gemäß Flächenwidmung von 2017 dürfte der Turm 66 Meter hoch werden.
Im Vorjahr wurde das Projekt Heumarkt-Neu präsentiert mit Bauhöhen von maximal 56,5 bzw. 47,85 Metern. Nach der Zusage, zwei weitere Geschoße wegzunehmen, legte sich die Unesco zuletzt in einem Gutachten fest: Der Wohnturm möge auf 44 Meter, der Hotelturm auf 42 Meter limitiert werden.
Denn eine Anfrage des KURIER bei der Wiener Baupolizei MA37 ergibt, dass sich der Investor das alte Bauvorhaben weiter in der Hinterhand behält. „Das Projekt aus dem Jahr 2018 ist nach wie vor bei uns anhängig; es fehlt aber ein positives Ergebnis aus dem UVP-Verfahren, sodass das Projekt nicht weiter behandelt werden kann“, erklärt Baupolizei-Leiter Gerhard Cech.
Auch Heumarkt-Neu wurde mittlerweile eingereicht, es „steht“ aber ebenfalls wegen der fehlenden Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP). Das UVP-Gesetz klärt nämlich auch mögliche optische Umwelteinflüsse ab – eben jene auf „Wiens historisches Zentrum“ als Weltkulturerbe. „Die nach der Bauordnung für Wien maßgeblichen Gebäudehöhen sind daher nicht mehr relevant, wenn sie im Widerspruch zum Weltkulturerbe stehen“, so Cech.
„Rechtslage sichern“
Mit anderen Worten heißt das, sollte Wien von sich aus das Welterbe-Prädikat zurückgeben (für Finanzstadtrat Peter Hanke wäre das „wahrscheinlich auch kein Beinbruch", wie er zuletzt bekannte), wäre auch der Weg wieder frei für das ursprüngliche, massige Heumarkt-Projekt. Und dabei geht es für den Investor nicht nur um ordentlich viel Kubatur, sondern auch um etliche Millionen Euro mehr.
Auch Behördenleiter Cech bestätigt diese Vermutung, bei größeren Bauvorhaben komme eine solche Strategie immer wieder vor: „Hintergrund ist dabei oft, dass man sich eine bestimmte Rechtslage ,sichern‘ möchte. Somit kann man mit einem anhängigen Verfahren eine vielleicht günstigere ältere Rechtslage ausnützen, ohne in die Gefahr zu laufen, das Projekt umplanen zu müssen.“
Politisch brisant ist nun aber auch, dass die Unesco über dieses doppelte Spiel offenbar nicht informiert wurde. So hat Wien vor der Welterbesitzung vergangenen Herbst in Riad sogar eine zusätzliche Reduktion von Heumarkt-Neu um zwei weitere Stockwerke zugesagt – diese Variante sei „vorgestellt und diskutiert“ worden, heißt es in einem Unesco-Bericht. Dass das ursprüngliche Projekt immer noch bei den Behörden anhängig ist, wird freilich nicht erwähnt. Außerdem gibt es laut Cech zu dieser jüngsten Variante noch gar keine weitere Einreichung.
„Spekulation“ Tojners
Christian Schuhböck von „Alliance for Nature“, der die UVP-Pflicht für den Heumarkt erst erkämpft hat, übt scharfe Kritik am „Taktieren Tojners“: „Er fährt zweigleisig und schaut, welches Projekt am Ende durchgeht. Da wird die Öffentlichkeit getäuscht.“ Ist das nicht Spekulation? „Ja, man kann es so betiteln“, meint Schuhböck, der hofft, dass die Unesco diesen Trick durchschaut und abstellt. Nach einem juristischen Ping-Pong-Spiel zwischen Wertinvest und Schuhböck auf nationaler und EU-Ebene liegt der Ball in Sachen UVP nunmehr wieder bei der Wiener Landesregierung.
Ohne die Umweltprüfung wäre das ursprüngliche Heumarkt-Projekt juridisch jedenfalls längst durch. Denn die Wertinvest hatte bereits 2019 auf einen „Rechtsanspruch“ gepocht – auf Basis von Flächenwidmung, Bebauungsplan und städtebaulichem Vertrag, wie es in einer Aussendung hieß. Die Wertinvest wollte am Montag zum gesamten Sachverhalt keine Stellungnahme abgeben.
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