Die Wiener Stadtlandwirte sind in Bedrängnis

Die Wiener Stadtlandwirte sind in Bedrängnis
Während Corona hat der Hunger auf Regionales zugenommen. Wie lange Wiens Bauern die Nachfrage decken können, ist unklar, warnt ÖVP-Klubchefin Elisabeth Olischar.

Während des Lockdown sind viele Konstanten des Alltags weggebrochen: Soziale Kontakte. Der tägliche Gang in die Arbeit – oder im schlimmsten Fall die Arbeit selbst. Und ein ganzes Stück Freiheit.

Was blieb, war das Essen - wie nicht zuletzt leergekaufte Regale in den Supermärkten gezeigt haben.

Woher dieses Essen kommt, darüber haben sich in der Isolation offenbar viele Menschen Gedanken gemacht. Wie eine Studie von Agrar Markt Austria aus dem Frühjahr zeigt, achten 26,2 Prozent der Befragten seit der Corona-Krise beim Einkauf von Lebensmitteln auf die regionale Herkunft.

Und das spürt auch die Wiener Stadtlandwirtschaft.

Zum Beispiel die Gärtnerei Ganger, die in der Donaustadt unter anderem 78 Sorten Paradeiser, 28 Sorten Paprika und 16 Sorten Gurken kultiviert. In den ersten Monaten der Corona-Krise stieg die Nachfrage beim Ab-Hof-Verkauf um satte 30 Prozent.

An die 15 Prozent dieser Neukunden konnte der Betrieb von seinem Angebot überzeugen: Sie kaufen nach wie vor – auch nach dem Lockdown – bei der Gärtnerei Ganger ein.

Kreative Ideen

Oder die Genossenschaft LGV-Frischgemüse in Simmering, die während der Krise plötzlich Abnehmer für sogenannte Drive-In-Kistl fand: Die Abnehmer mussten lediglich in eine Art Boxengasse einbiegen, das Fenster einen Spalt öffnen, bestellen – und das Kistl mit regionalem Gemüse wurde im Kofferraum platziert.

Die Zukunftsaussichten der die Wiener Landwirte sind also gut. Sollte man vor diesem Hintergrund zumindest meinen. Doch es gibt ein Problem.

Kampf um den Boden

Es ist nämlich fraglich, wie lange die Wiener Bauern die steigende Nachfrage noch befriedigen können. Denn die landwirtschaftlich genutzten Areale Wiens schrumpfen. Aktuell sind rund 5.700 Hektar des Stadtgebiets – das entspricht rund 15 Prozent – Landwirtschaftsflächen.

650 Betriebe von Landwirten gibt es in Wien. Die Zahl geht jährlich um 2,5 Prozent zurück. 140 dieser Betriebe gehören Weinbauern.

3.800 Personen arbeiten in Wien in der Landwirtschaft.

15 Prozent des Stadtgebiets  oder 5.700 Hektar werden landwirtschaftlich genutzt. 

300 Hektar beträgt der Rückgang der landwirtschaftlichen Flächen seit dem Jahr 2010. 

27 Prozent beträgt der Bio-Flächenanteil in Wien insgesamt, im Weinbau sind es sogar 34 Prozent. Aktuell gibt es 45 Bio-Betriebe. 

72.000 Tonnen Gemüse produzieren die Wiener Bauern jährlich. Der Selbstversorgungsgrad beim Gemüse beträgt damit 31 Prozent. 

Die meisten davon befinden sich am Stadtrand: In der Donaustadt, in Floridsdorf und in Favoriten liegen die großen Ackerflächen, insgesamt sind es wien-weit 4.500 Hektar.

In Simmering sind riesige Gärtnereien beheimatet. Und in Floridsdorf, Döbling und Liesing finden sich die Weinbaugebiete. 700 Hektar mit 140 Weinbaubetrieben sind es – das entspricht der Fläche der Bezirke 6, 7, 8 und 9 zusammen.

Die Wiener Stadtlandwirte sind in Bedrängnis

Vor zehn Jahren gab es allerdings noch rund 300 Hektar mehr von diesen Flächen. Der Grund für die Entwicklung ist das Wachstum Wiens: Die Stadtentwicklung frisst den Bauern sozusagen den Boden weg.

Das ruft nun Elisabeth Olischar auf den Plan. Sie ist die Chefin des ÖVP-Klubs im Rathaus – und türkise Expertin für Stadtplanung und Landwirtschaft.

Verantwortung der Stadtregierung

Kaum eine Woche vergehe, ohne dass Immobilien-Entwickler den Wiener Landwirten Kaufangebot unterbreiten würden, sagt Olischar. Das bedeutet: die Wiener Landwirtschaft ist in Bedrängnis.

3.800 Personen sind in der Landwirtschaft tätig, aktuell gibt es 650 Betriebe. Ihre Anzahl sinkt allerdings – und zwar pro Jahr um 2,5 Prozent.

„Jährlich steigt die Nachfrage nach regionalen Lebensmitteln. Die Corona-Krise hat aufgezeigt, wie wichtig unsere landwirtschaftlichen Betriebe für die Nahversorgung der Stadt mit frischen Lebensmitteln sind“, sagt Olischar. „Die landwirtschaftlichen Flächen in Wien müssen daher langfristig gesichert werden.“

Die rot-grüne Stadtregierung, sagt Olischar, sei für die knifflige Lage der Bauern mitverantwortlich. Sie habe sich in den vergangenen Jahren zu wenig um die Landwirtschaft gekümmert: „Rot-Grün trägt Mitschuld, dass die landwirtschaftlichen Flächen in Wien weniger werden.“

Bauernsalat und Zucchini

Elisabeth Olischar geht mit dem Thema auch in den Wahlkampf: Die studierte Raumplanerin präsentiert potenziellen Wählern in ihrer Kampagne nicht nur ihre „politischen Rezepte für Wien“ – sondern hat auch Kochrezepte gesammelt, die sie in Online-Videos auf Instagram und Facebook vorkocht.

Die Wiener Stadtlandwirte sind in Bedrängnis

Elisabeth Olischar ist ÖVP-Klubchefin und Ladwirtschaftsexpertin ihrer Partei. 

Darunter: Erdäpfelauflauf, gefüllte Zucchini, Karottensuppe und ein Wiener Bauernsalat. Mit den Rezeptkarten will die 32-Jährige unter anderem für eine „zukunftsfähige Landwirtschaft“ werben. Olischar setzt sich für Selbsternteprojekte und Indoor-Farming-Aktivitäten ein.

Wie die Zukunft der Branche aussehen könnte, das zeigt auch der digitale Bauernmarkt „markta“. Dort kann man online Fleisch, Fisch und Gemüse von ausgewählten Bauern im Wiener Raum bestellen – ausgeliefert wird noch am selben Tag per Botendienst.

Üblicherweise verzeichnet das Start-up 150 Bestellungen pro Woche. Während der Corona-Krise sind diese um das 20-Fache gestiegen – auf 2.500 Bestellungen. Mittlerweile ist die Nachfrage zwar wieder etwas gesunken. Aber sie ist noch immer um etwa das Zehnfache höher als vor dem Lockdown.

Einzigartig in Europa

Übrigens: Die Wiener Stadtlandwirtschaft ist europaweit einzigartig. Pro Jahr produzieren die Bauern in der Bundeshauptstadt alleine 72.000 Tonnen Gemüse. Der Selbstversorgungsgrad beträgt in diesem Bereich satte 31 Prozent. Bei Paprika sind es sogar 52 Prozent – kein anderes Bundesland produziert so viel.

Außerdem ist Wien die einzige europäische Hauptstadt mit einer nennenswerten Weinproduktion: 2,7 Millionen Liter pro Jahr. Auch hier dürfte der Konsum während des Lockdown gestiegen sein.

Kommentare