Die rauchende Katze wacht am Grab

"Weihnachten, Allerheiligen und Allerseelen, das sind die Tage, wo hier schon immer am meisten los ist", sagt die 82-jährige Monika Pausch, während sie die Erika-Stöckerl in Weiß und Rosa mit einem vier Euro Preisschild und die weißen Chrysanthemen mit einem drei Euro Schild bestückt.
Haupteingang am Tor 2: Obelisken und Blick auf die Karl-Lueger-Kirche
Seit mehr als 36 Jahren verkauft sie Friedhofsblumen, Kränze und Gestecke vor dem Hauptportal des Wiener Zentralfriedhofs. Das Tor 2 erkennt man an den großen Obelisken am Eingang, die Straßenbahn Linie 11 und Linie 71 hält direkt davor. Am Ende der Allee erkennt man die Friedhofskirche "Zum Hl. Karl Borromäus" mit dem Grab des Wiener Bürgermeisters Karl Lueger (1910). Am Fuße der Kirche befindet sich die Präsidentengruft.

Im Vordergrund die Präsidentengruft: Errichtet wurde die Anlage für den 1950 verstorbenen Präsidenten Karl Renner, der dort 1951 seine letzte Ruhestätte fand. Nach Renner wurden Theodor Körner (1957), Adolf Schärf (1965), Franz Jonas (1974), Rudolf Kirchschläger (2000) und zuletzt Thomas Klestil (2004) dort begraben.
Hamster knabbern an Grablichter und Rehe am Efeu
Erlebt hat Monika Pausch schon viel: Blumen und Kränze für die amerikanische Botschaft hat sie geflochten oder die Mama von Falco bedient. Einmal wurde sie sogar versehentlich im Friedhof eingesperrt, weil sie den wilden Hamstern zugesehen hatte, die Grabblumen und Wachs der Friedhofskerzen naschten.
Davon gibt es nämlich jede Menge auf dem 2,5 Millionen Quadratmeter großen Gelände. Ihr Geheimtipp: Wenn der Friedhof um 7 Uhr aufsperrt, dann soll man durch die Alleen spazieren und die zahlreichen Rehe beobachten, die gerne vom Efeu des jüdischen Friedhofteils knabbern.
Zweitgrößte Friedhof Europas
Aber selbst ein ganzes Leben könnte nicht reichen um den zweitgrößten Friedhof Europas (nach Ohlsdorf in Hamburg) wirklich kennenzulernen. Er sei einfach zu groß, meint sie. Obwohl man aber sogar mit dem Auto am Friedhof fahren darf (außer an Allerheiligen), mit dem Fahrrad oder Roller. Ein E-Bike kann man sich von der Friedhofsverwaltung ausborgen.
Für Touristen oder Romantiker stehen am Eingang Fiakerfahrer (50 Euro kostet die kleine Runde, 80 Euro die große Runde) bereit. Umstritten sind seit letzten Jahr auch die neuen Laufstrecken.
Für alle anderen bleibt immer noch die eigene Buslinie mit 19 Haltestellen um durch die verschiedenen Areale - von jüdischen bis islamischen, von den Ehrengräbern bis zu den Mahnmalen, von den Kriegsopfer des ersten oder zweiten Weltkrieg bis zum Waldfriedhof und von dem Museum bis sogar ins Kaffeehaus der Konditorei Oberlaa zu kommen.
Diesmal ist alles anders
Dass die Feiertage diesmal anders verlaufen, weiß auch die Floristin. Schon vergangene Woche bat die Regierung, auf Familientreffen und gemeinsame Besuche des Friedhofes zu verzichten. Auch die Österreichische Bischofskonferenz stimmte dem zu. Laut Covid-Bestimmungen, die vergangenen Sonntag in Kraft getreten sind, werden keine Messen im Freien abgehalten.
Die Einhaltung von einem Meter Distanz ist vorgeschrieben, wenn Menschen nicht im selben Haushalt oder nur teilweise im selben Haushalt leben. Die Polizei soll dies auch vor Ort kontrollieren, sagt Friedhofssprecher Florian Keusch. Normalerweise können Besucher auf dem 2,5 Millionen Quadratmeter großen Areal mit dem Auto fahren, das ist am 1. und 2. November aus Sicherheitsgründen verboten.
"Am meisten Geld für Blumen und Gestecke geben die Inhaber einer Gruft aus, alle anderen zahlen maximal 20 Euro für Blumen", verrät die Friedhofskennerin. Das seien dann wohl Familienmitglieder einer sehr angesehenen Familie.
Arkadengruft wie eine "Villa in Döbling"
Die 36 Arkadengrüfte befinden sich in Ziegelrot mit zahlreichen Skulpturen und Deckenfresken noch vor der Karl-Lueger-Kirche. Der Preis einer solcher "Gruft" sei nicht genau bezifferbar, sagt Friedhofssprecher Florian Keusch. Aber wenn ein normales Grab etwa eine Mietwohnung wäre, dann sei eine solche alte Adelsgruft mit einer Eigentumsvilla in Döbling zu vergleichen. Derzeit gebe es auch keine Warteliste. Sollte man Interesse haben, müsse man sich nur bei der Friedhofsverwaltung melden, heißt es. Aber man müsse sich natürlich die Restaurierung und Instandhaltung dieser Gruft leisten können.
Ehrengräber
Sie werden zur Gänze von der Stadt bezahlt. Dafür müssen die Menschen besonderes für die Stadt getan und geleistet haben - das reicht von karitativen bis hin zu politischen oder künstlerischen Schaffen. Den Antrag reicht die Kulturabteilung der Stadt ein, der Bürgermeister selbst entscheidet. Bei ehrenhalb gewidmeten Gräbern (so eines hat Falco) müssen Verwandte die Grabpflege bezahlen.
Umgelegte Grabsteine
Lockere Grabsteine werden aus Sicherheitsgründen von den Mitarbeitern der Friedhofsverwaltung umgelegt. Alle zwei Jahre werden alle Grabsteine mit eine m"Normdruckverfahren" kontrolliert.
Digitale Grabauswahl
Noch dieses Jahr soll der Service online verfügbar sein: Menschen können so auf einem Blick sehen, wo Gräber frei sind und wie viel diese kosten. Im Schnitt kostet ein Grab
Früher stellten in den alten Arkaden das Wiener Großbürgertüm seinen Reichtum zur Schau. Heute sind viele dieser Grüfte ein wenig heruntergekommen und vernachlässigt. "Solange sie aber keine Gefahr für andere darstellen, greifen wir diese Gräber nicht an", meint dazu Keusch.
Industriellenfamilie Mautner-Markhof
In den Arkadengrüften findet man etwa die Familiengruft der Familie Mautner-Markhof. Die Industriellenfamilie, die ihren Sitz in der Simmeringer Hauptstraße hatte, war in der Konserven- und Bierindustrie tätig. Heute kennt man noch den Estragon-Senf. Die Gruft aus Carrara-Marmor stellt Motive der Großzügigkeit der Familie dar, die etwa ein Kinderspital stiftete.
Namensgeber des Haas-Hauses
Tragisch ist die Geschichte des Familiengrabs von Phillipp Haas (1870). Nach ihn und seiner Familie benannte man das Haas Haus. Dort stand Wiens erstes Warenhaus der Familie Haas. Seine Familie war über Österreichs Grenzen hinweg als Teppichhändler erfolgreich und bekannt. Phillipp Haas wählte nach der Verarmung seinen Freitod. Dann gibt es da noch andere Gräber in den Arkaden, wie etwa das des Erfinders der feuerfesten Kassen Franz Freiherr von Wertheim (1883) oder das des Opernsänger und Kurzzeitstaatsoperndirektor Eberhard Wächter (1992).
Skurriles Bergwerkgrabmal von August Zang
Unter diesen ehrwürdigen Familien findet man auch ein besonders skurriles Grab. Es gleicht einem Bergwerk - ist schwarz gehalten, Zwerge leuchten den Weg zum Eingang in den pechschwarzen Berg. August Zang und sein Vater liegen hier begraben. Er galt als Gründer der "Presse", der später als Bankier auch in Bergwerke investierte. Ein besonderes Grabmal wünschte sich angeblich seine Frau. Das hat sie wohl erhalten.
Aisiatische Musikfans
Viele Menschen bleiben auch stehen vor dem Grab mit der Aufschrift: "World Music Fans". Die Gruft soll von einem asiatischen Geschäftsmann gekauft worden sein. Hier sei Platz für 300 Urnen. Klassische Musikfans können nahe ihren Idolen, von Brahms bis Beethoven, begraben werden.

Rund 330.000 Grabstellen mit rund drei Millionen Verstorbenen gibt es in der sogenannten "Totenstadt der Wiener".
Verwunderte Besucher bleiben etwa auch bei dem prunkvollen Mausoleum von Rakhat Aliyev stehen. Der frühere Schwiegersohn des kasachischen Präsidenten war lange Zeit Österreichs prominentester Häftling. Er wurde 2015 erhängt in seiner Zelle in der Justizanstalt Josefstadt entdeckt. Seine Anwälte gingen damals von Mord aus. Wie komme er zu so einem Grab?
Wie eine Villa in Döbling
Jeder könne so ein Mausoleum besitzen, sagt Friedhofssprecher Florian Keusch. Der Preis sei aber nicht genau bezifferbar. Man müsse die Gruft erhalten können. Aber wenn ein normales Grab eine Mietwohnung wäre, dann sei eine alte Adelsgruft mit einer Eigentumsvilla in Döbling zu vergleichen. Noch dieses Jahr soll jeder, der will digital sein Grab online aussuchen können, verrät er vorab.
Pilgerort Katzenkönig
Nur einen Steinwurf von den Arkaden entfernt sind die beliebten Ehrengräber. Vor Brahms, Beethoven, Schubert machen Besucher Selfies, hinterlassen Rosen, Kerzen, Steine oder Briefe. Viele pilgern zu Falco oder Udo Jürgens. Für Lacher sorgt der Karikaturist Manfred Deix, auch nach seinem Tod. Zu Lebzeiten wohnte er mit 40 Katzen, heute thront die Königin mit Krone und Zigarette auf seiner Ruhestätte.

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