Die Handschellen klickten im Schlaf

Mertkan G. drohte, am Westbahnhof eine Bombe zu zünden. Pläne dafür soll sich der Schüler aus dem Internet geholt haben. Auch mit Extremisten soll er in Kontakt gewesen sein.
Der 14-jährige Mertkan G. wurde schlafend bei McDonald’s festgenommen. Jetzt sitzt er wieder in U-Haft.

Die Flucht von St. Pölten nach Wien und das Abtauchen in der Bundeshauptstadt brachte die beiden Burschen, Mertkan G., 14, und S., 12, an den Rand der Erschöpfung. Die Schulkollegen aus St. Pölten versteckten sich schließlich Freitagfrüh in einer McDonald’s-Filiale auf der Mariahilfer Straße 85.

Am Tisch eingeschlafen

Zu diesem Zeitpunkt war die Exekutive – ein europäischer Haftbefehl war ausgeschrieben – dem Duo längst auf den Fersen. Am Freitag um 8.10 Uhr klickten dann dank eines aufmerksamen McDonald’s-Mitarbeiters die Handschellen. Nachdem sich die Gesuchten in der Toilette der Fast-Food-Kette verkrochen hatten, gingen sie in den Lokalbereich. Dort dürften die beiden an einem Tisch eingeschlafen sein.

Ein Mitarbeiter erkannte die Gesuchten. Zu diesem Zeitpunkt patrouillierte die Bereitschaftseinheit der Polizei in unmittelbarer Nähe des Restaurants. Die Polizisten wurden vom Mitarbeiter auf der Straße informiert, gingen ins Lokal und setzten die zwei Gesuchten fest. Für eventuelle Gegenwehr blieb keine Zeit, auch Waffen oder Bombenpläne wurden nicht gefunden. McDonald’s-Firmensprecherin Ursula Riegler bestätigte die Festnahme und betonte: „Wir waren nur zufällig Schauplatz der Festnahme.“

Bombendrohung

Der 14-jährige Mertkan G. war bereits am 28. Oktober des Vorjahrs festgenommen worden, nachdem er eine Anleitung zum Bau einer Bombe aus dem Internet heruntergeladen haben soll. Danach soll er gedroht haben, einen belebten Ort, wie den Wiener Westbahnhof in die Luft zu sprengen.

Im November wurde G. unter mehreren Auflagen – etwa polizeilicher Meldepflicht sowie sich nicht verborgen zu halten – wieder auf freien Fuß gesetzt. Seinen Reisepass zogen die Behörden ein. Die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen des Verdachts auf Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung, Anleitung zur Begehung einer terroristischen Straftat sowie gefährlicher Drohung. Weil G. gegen die Auflagen des Gerichts verstoßen hatte, ordnete die Staatsanwaltschaft die neuerliche Festnahme an. Seit Dienstag war Mertkan G. verschwunden. Sein 12-jähriger Schulkollege wurde am Donnerstag als abgängig gemeldet.

Untersuchungshaft

Der 12-Jährige wurde von der Polizei seinen Eltern übergeben. Mertkan G. wurde Freitagnachmittag nach St. Pölten überstellt und einvernommen. Das Landesgericht St. Pölten hat Freitagabend die U-Haft über den 14-Jährigen verhängt. Laut Gerichtssprecherin Andrea Humer besteht Tatbegehungs- und Fluchtgefahr. G. bleibt bis zu ersten Haftprüfung am 30. Jänner im Gefängnis.

Beim Verein Neustart, der die Bewährungshilfe für G. organisiert, hofft man, dass die Bewährungshilfe für den Schüler weiterlaufen darf. „Die Haft ohne zusätzliche Betreuungsmaßnahmen würde einer Radikalisierung nur Vorschub leisten“, sagt Andreas Zembaty, Sprecher von Neustart. „Gerade jetzt, wo man meinen könnte, der Bursche habe es am wenigsten verdient, wollen wir für ihn da sein.“ Gerichtssprecherin Andrea Humer geht davon, dass die Bewährungshilfe weiterläuft. Warum Mertkan G. von St. Pölten nach Wien geflüchtet ist, ist derzeit noch unklar.

67 Personen werden vom Verfassungsschutz als „gefährlich“ eingestuft. Das sind jene, die laut Geheimdienstinformationen eine Kampfausbildung in Syrien genossen haben. Nachdem aber diese Informationen vor Gericht nicht als Beweismittel verwertbar sind, können keine Strafverfahren eingeleitet werden.

Im Sinne der „erweiterten Gefahrenerforschung“ dürfen diese potenziellen „Schläfer“ aber überwacht werden. Die Methoden der Überwachung werden geheim gehalten. Klar ist aber, dass der Polizei für eine kontinuierliche und lückenlose Überwachung von so vielen Verdächtigen das Personal fehlt. Daher bauen die Landesämter für Verfassungsschutz auch auf die Unterstützung der lokalen Polizeibehörden und anderen Institutionen.

Für Verfassungsschützer ist es problematisch, dass sie nach neun Monaten alle erfassten Daten löschen müssen, sofern die überwachte Person in dieser Zeit nicht auffällig wird. Nicht überwachen darf der Verfassungsschutz Personen, die wegen zu geringem Tatverdacht aus der U-Haft entlassen wurden. Das war etwa beim 14-jährigen Mertkan der Fall. Ob diese Art der Überwachung zielführend ist, wird seit den Attentaten von Paris infrage gestellt. Denn auch dort stand zumindest ein Täter unter Beobachtung.

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