Austrotürken: "Die Evolution war Gottes Wille"

In der Türkei will die AKP Darwin vom Lehrplan streichen. Austrotürken beurteilen das kritisch.

Die Evolutionstheorie von Charles Darwin könnte in der Türkei aus den gymnasialen Lehrplänen gestrichen werden, kündigt Bildungsminister Ismet Yilmaz von der AKP an. Ein Plan, der Kritiker der islamisch-konservativen Regierung von Recep Tayyip Erdoğan mit Sorge erfüllt. Sieht es doch so aus, als ob die türkische Mehrheitspartei sukzessive die religiösen Inhalte in den Bildungseinrichtungen stärkt – etwa indem sie den Kreationismus unterstützt. Dessen Anhänger (wie es sie unter Muslimen ebenso gibt, wie unter Christen) lehnen die Evolutionstheorie ab und vertreten die Ansicht, dass alles Leben von Gott erschaffen wurde. Aber was glauben die Türken in Österreich? Und wie gehen Islamlehrer oder Imame bei uns mit dem Thema um? Der KURIER fragte nach.

Die Antworten sind vielfältig. "Ich glaube nicht an die Evolution. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Mensch und Affe einen gemeinsamen Ursprung haben", sagt etwa Limousinenfahrer Harun Göksu. Der 33-Jährige entstammt einer religiösen Familie und besuchte ein theologisches Gymnasium in der Türkei.

Das erste Mal mit der Schöpfungsgeschichte konfrontiert wurde Göksu in seiner Kindheit: Sein Vater erklärte sie ihm anhand des Koran – und in der Moschee fand er durch die Worte des Imam Bestätigung. Als die Evolutionstheorie dann in der Schule auf dem Lehrplan stand, schenkte ihr der Wahl-Wiener keinen Glauben. Seinen Töchtern will er sie trotzdem nicht vorenthalten: "Sie sollen selbst entscheiden, was sie glauben wollen."

"Darwin ist Bullshit"

Dass beide Erklärungsmodelle in den Schulbüchern bleiben, will auch Fatih Köse (31). Als Politaktivist organisierte er die Pro-Erdoğan -Demo 2013 in Wien mit.

In seiner Generation, erzählt er, "meinen viele: Darwin ist Bullshit – weil für Muslime klar ist, dass Allah die Welt erschaffen hat. Das hören wir von den Eltern, das hören wir in der Moschee. Die Evolutionstheorie lernt man zwar in der Schule, aber man glaubt sie nicht." Zumindest nicht, ohne dabei an Allah zu denken – sprich: Gott hat die Evolution erschaffen.

Ein beliebtes Gesprächsthema sei die Schöpfungsgeschichte aber ohnehin nicht, räumt Köse ein – "dabei kannst du nur verlieren: denn wenn man als Muslim sagt, dass man Darwins Theorie glaubt, wäre das Gotteslästerung und man riskiert, aus der eigenen Community ausgeschlossen zu werden. Und sagt man gegenüber der Mehrheitsgesellschaft, dass man den Kreationismus gut findet, ist man ein Trottel, der die Wissenschaft abstreitet."

Diese Gefahr sieht Imam Ramazan Demir (30) weniger: "Es gibt viele Theologen, die sagen, dass die Evolutionstheorie – und das ist es: eine Theorie – nicht mit dem Koran im Widerspruch steht. Denn eines ist für uns 100-prozentig sicher: dass Gott den Urknall erschaffen hat. Gott lässt die biologischen Gesetze ebenso zu, wie die physikalischen. Die Evolution war also Gottes Wille."

Allerdings, meint Demir, kennen viele Imame die Evolutionstheorie gar nicht – und bedienen sich theologischer Erklärungen, um nicht in Argumentationsnot zu geraten.

"Das mag sein", bekräftigt Selfet Yilmaz, Wirtschaftsingenieur aus Bad Vöslau (NÖ) und Sprecher des Moscheeverbandes Atib. Auf dessen Imame treffe das aber nicht zu. "Die sind gut ausgebildet."

Yilmaz’ Einschätzung nach glauben die Menschen in den Moscheevereinen, "dass Gott der Ursprung von allem ist". Dass sich die Natur im Laufe der Zeit weiterentwickelt, sei aber genauso wissenschaftlich nachvollziehbar. "Das glauben auch viele – wie bei den Christen und den Juden."

Dass Atib der verlängerte Arm der türkischen Religionsbehörde ist, habe auf die Bildungsarbeit in den Moscheen jedenfalls keinen Einfluss, beteuert Yilmaz. "Wir leben in Österreich, wir sind nicht von der Türkei abhängig." Dass dort über die Evolutionstheorie "diskutiert" wird, findet er im Sinne des Meinungsaustauschs jedoch positiv. Ganz im Gegensatz zu Murat Barlan.

"Gottesstaat"

Der Chirurg ist Alevit und Obmann des Atatürk-Kulturvereins. Als Anhänger von Mustafa Kemal Atatürk, des Gründers der laizistischen Republik Türkei, verfolgt er die dortigen Entwicklungen "mit größter Besorgnis". Während die Kemalisten Staat und soziales Leben von der Religion trennen, sei die AKP dabei, "einen Gottesstaat zu errichten". Der jungen Generation werde dafür "die islamistische Perspektive eingetrichtert, während sie von wissenschaftlicher Bildung ferngehalten wird".

Er selbst erachte wohl die Evolutionstheorie für vernünftig, erklärt Barlan, seinen Kindern will er aber auch eine theologische Erklärung bieten. "Sie sollen selbst entscheiden, was sie überzeugt."

Alevit ist auch Publizist Birol Kilic, der Obmann der türkischen Kulturgemeinde. Er vertritt "die These, dass die Evolutionstheorie 100-prozentig stimmt – was dem Koran aber nicht widerspricht. Denn der ist verstand- und vernunftorientiert." So wie er "denken viele moderne, gläubige Türken", meint Kilic.

Dass die Schulbücher in der Türkei unverändert bleiben, hofft auch Siliz Kaynak, die Obfrau der österreichischen CHP-Außenstelle. Als Mitglied der kemalistischen türkischen Oppositionspartei sieht die Sozialdemokratin Atatürks Gedankengut in Gefahr, die Evolutionstheorie erscheint ihr "logisch".

"Religion gibt andere Antworten als Naturwissenschaften – deshalb muss man die beiden nicht gegeneinander ausspielen", betont Carla Amina Baghajati vom Schulamt der Islamischen Glaubensgemeinschaft. "Beides bietet jeweils für sich wertvolle Sichtweisen der Schöpfung." Der 2014 herausgegebene Leitfaden für Islamlehrer setze sich deshalb gezielt mit Darwin auseinander. Sollen die Pädagogen Schüler doch zur Reflexion ermutigen.

Baghajati verweist auf "die Forschungsfreudigkeit im Islam: Gottes Schöpfung zu studieren, ist für muslimische Intellektuelle eine religiös verdienstvolle Handlung, die nicht nur für den Menschen nützliche Erkenntnisse zu Tage fördert, sondern auch auf Allah als den Schöpfer zurückweist."

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