Wieso immer mehr Bürogemeinschaften bilden
Es ist ein wenig unglücklich zusammengekommen für Anat Stainberg. Als Performancekünstlerin und Malerin konnte sie aufgrund der Pandemie und den daraus resultierenden Kontaktbeschränkungen heuer viele Projekte nicht realisieren. Seit einem halben Jahr teilt sie sich bereits ein Atelier mit einer Künstlerin, weil sie alleine die Miete nicht begleichen kann. Und nun kam die Nachricht: Sie muss dort bis Jahresende ausziehen.
Anfragen bei der Stadt und im Freundeskreis sind vorerst im Sand verlaufen. Ihre Hoffnung setzt sie nun auf die Plattform „Im Grätzl“.
2015 hat die Community-Expertin Mirjam Mieschendahl mit Michael Walchhütter „Im Grätzl“ im Stuwerviertel gestartet; eine digitale Plattform zur Stadtbelebung. 2016 wurde das Projekt wienweit ausgerollt.
Mittlerweile sind 6.800 Selbstständige hier vernetzt. Immer mehr nutzen dabei das Angebot, andere Gewerbetreibende zu finden, mit denen sie sich die Geschäftsfläche – und damit auch Miete und Betriebskosten – teilen können.
Denn eine eigene Gewerbefläche zu betreiben, fällt zunehmend schwer. 61,6 Prozent von 132 befragten Wiener Unternehmenden geben an, ihre Gewerbeflächen mit anderen zu teilen. Im April waren es noch 47 Prozent.
Stimmung erheben
Vier Befragungen hat Mieschendahl unter den Gewerbetreibenden heuer durchgeführt und nach der Stimmung gefragt.
Warum eigentlich? „Wir beschäftigen uns seit Jahren mit dem Thema Leerstand“, sagt die Plattform-Betreiberin. „Für uns war es logisch, dass wir schauen, was mit den angemieteten Räumen in der Krise passiert. Wenn der Leerstand erst einmal da ist, ist es zu spät.“
Für viele Kleinstunternehmer bilde die Gewerbefläche die Existenzgrundlage. Knapp ein Viertel der Befragten muss die Miete aber bereits aus eigenen Rücklagen finanzieren. Gut ein Viertel plane, die Fläche zu kündigen, oder hat dies schon getan.
Laut Maria Smodics-Neumann, Obfrau von Gewerbe und Handel in der Wirtschaftskammer Wien, würde ein überwiegender Teil der Gewerbetreibenden zwar die Corona-Maßnahmen verstehen und auch dankbar für die zur Verfügung stehenden Fördermaßnahmen sein. Doch sie reichen oft nicht aus.
Geteilte Kosten
Gefährlich nahe an einer finanziellen Krise ist Verena Florian im Frühling vorbeigeschrammt. Florian ist Coachin und führt mit ihrem Mann das „Integrale Zentrum Wien“ in der Leopoldstadt, wo vor allem Seminare abgehalten werden. Der große Raum wurde meist von externen Personen gebucht; Hauptmieter war zu Jahresbeginn eine Bank.
„Die haben am 15. März natürlich alles storniert“, sagt Verena Florian. Um das Zentrum nicht aufgeben zu müssen, haben sie ihre Stadtwohnung verkauft und in ihrem Seminar-Zentrum auf der Couch geschlafen. Rettung kam für Florian durch Mieschendahls Raumteiler-Angebot.
Eine Psychotherapeutin hat sich auf ihre Anzeige gemeldet. Freie Plätze gebe es weiterhin.
Büro im Ausstellungsraum
Auch Astrid Edlinger kann seit Freitag aufatmen. Die bildende Künstlerin hat 2019 einen Ausstellungsraum in Mariahilf eröffnet, der heuer vergeblich auf Ausstellungen wartete. Nun ist er zumindest bis März Arbeitsort für insgesamt sechs Grafikerinnen und Künstlerinnen.
Aufatmen traut sich Anat Stainberg noch nicht ganz. Zumindest die ersten Angebote trudeln jetzt aber ein.
Allgemeine Zahlen
47.920 Gewerbetreibende gibt es laut der Wiener Wirtschaftskammer.
Plattform zur Vernetzung
Seit 2016 gibt es „Im Grätzl“, eine wienweite Plattform zur Stadtbelebung. Hier können Selbstständige über das Tool "Raumteiler" Büropartnerinnen und Büropartner finden.
Umfrage zur Krise
26,5 Prozent der 132 Teilnehmenden planen ihre Gewerbeflächen zu kündigen oder haben das bereits getan. 13 Prozent haben seit den Covid-19-Maßnahmen keine Einnahmen, 63 Prozent haben finanzielle Unterstützung beantragt.
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