Problem "Catcalling": "Man kann als Frau nicht auf die Straße gehen, ohne Furcht, belästigt zu werden"
Kaum treten Frauen auf die Straße, beginnt für sie oft ein Spießrutenlauf. Sexuelle Belästigung im öffentlichen Raum ist für sie keine Ausnahme, sondern tägliche Realität. Und sie hat viele Gesichter: Nachpfeifen, anzügliche Blicke und obszöne Gesten oder anstößige, herabwürdigende Kommentare. Oft beiläufig, oft aggressiv – und immer unerwünscht.
Zusammengefasst werden diese Formen der Belästigung unter dem Begriff „Catcalling“. Was von einigen immer noch gerne als Kompliment abgetan wird und vielen nicht klar ist: Auch Catcalling ist eine Form der Gewalt. Und sie betrifft in erster Linie Frauen und Mädchen bzw. Flinta-Personen (Frauen, Lesben, intergeschlechtliche, nicht-binäre, trans und agender Personen). Das im wahrsten Sinne „anzukreiden“ hat sich der Verein „Catcalls of Vienna“ bei seiner Gründung vor sechs Jahren zur Aufgabe gemacht.
Gefährliches Ankreiden
Das Prinzip: Betroffene können ihre Erfahrungen sexueller Belästigung in Wien entweder über den Instagramkanal „catcallsof.vie“ oder die E-Mail-Adresse (catcallsofvie@gmx.at) einsenden. Diese werden dann als Zitat genau dort mit Kreide auf den Boden geschrieben, wo sie sich ereignet haben.
„Wir wollen den Raum so wieder an die Betroffenen von Gewalt zurückgeben, wenn ihnen dieser Raum genommen wurde“, sagt Cel Diwisch, Vorstandsmitglied von Catcalls of Vienna, im Gespräch mit dem KURIER. Und so steht dann etwa am grauen Pflaster der Meidlinger Hauptstraße: „Mann verfolgt mich abends und ruft mehrmals: ,Bleib stehen, du N*tte!’“
Beim Ankreiden sind die „Cats“, wie sie sich selbst nennen, nie alleine unterwegs. Das ist schon aus Sicherheitsgründen wichtig: „Es ist auch eine gefährliche Aufgabe. Wir werden beim Ankreiden sehr oft selbst angefeindet und belästigt.“
Belästigung und ihre Folgen
Dass sexuelle Belästigung keine Lappalie ist, wird umso deutlicher, wenn man sich der Folgen für die Betroffenen bewusst wird: akuter Stress, stark beeinträchtigtes Sicherheitsgefühl und dauerhafte Verunsicherung bis zu Schlaf- und Angststörungen.
„Man kann als Frau nicht auf die Straße gehen, ohne befürchten zu müssen, belästigt zu werden. Man zieht sich anders an, man geht einen anderen Weg, man spürt einfach die ganze Zeit, dass man potenziell angegriffen werden kann“, sagt auch Diwisch. Überproportional oft seien junge Mädchen betroffen, das zeigen die Einsendungen, die Catcalls of Vienna erreichen. „Immer wieder schreiben uns auch ältere Frauen, die erzählen, was ihnen früher passiert ist“, erzählt Diwisch.
Nicht strafbar
Umso unverständlicher finden sie und ihre Mitstreiterinnen es, dass „verbale und nonverbale Belästigung mit Sexualbezug“, wie es in der Rechtssprache heißt, nicht strafbar ist. Aber auch unerwünschte körperliche Berührungen fallen nicht darunter, es sei denn, es handelt sich um Übergriffe auf „zur unmittelbaren Geschlechtssphäre gehörige Körperpartien“.
Ein gefährliches Signal an die Gesellschaft, sagt Diwisch. „Immer wenn patriarchale Gewalt, egal in welcher Form, nicht bestraft wird, ebnet das den Weg für schwerwiegendere Formen von Gewalt.“ Immer wieder gehen die Mitglieder von Catcalls of Vienna daher stellvertretend für Betroffene oder mit ihnen gemeinsam zur Polizei, um Anzeige zu erstatten. Das Ziel: Wenn das viele tun, wird der Bedarf an einer Änderung des Strafrechts sichtbar.
Etwa einmal wöchentlich bis zweiwöchentlich werden die Einsendungen der Betroffenen in Wien angekreidet – und der Nachschub an Erzählungen reißt seit den Anfangstagen des Vereins nicht ab. „Es kommen sehr viele Geschichten, das heißt wir haben leider auch immer genug anzukreiden“, sagt Diwisch. „Und oft, wenn uns eine Person schreibt, dann ja nicht nur eine Erfahrung, sondern gleich mehrere.“
Jede dieser Geschichten markiert eine Grenze, die bewusst überschritten wurde. Sie sichtbar zu machen, ist ein erster Schritt, den täglichen Spießrutenlauf zu beenden.