K.o.-Tropfen: "Bewusstlosigkeit kann Stunden dauern"

Die Fälle mehren, die Schlagzeilen häufen sich: Keine Gesellschaftsschicht ist davon ausgenommen, niemand davor gefeit, Opfer davon zu werden: Betäubungsmittel, landläufig als K.o.-Tropfen bezeichnet. 2024 kam es laut Statistik des Innenministeriums zu 150 Straftaten, bei denen Medikamente, Suchtmittel, K.o.-Tropfen und ähnliches verwendet wurden - die meisten davon betreffen § 201 StGB - Vergewaltigung und das Gros der Betroffenen ist weiblich. Anfang Juni stimmen alle Parlamentsparteien für eine Informationskampagne zum Schutz vor K.o.-Tropfen. Barbara Maier, Professorin für Gynäkologie und Geburtshilfe an der Sigmund Freud Universität Wien und gerichtlich beeidete Sachverständige spricht im Interview über Schuld- und Schamgefühle der Betroffenen, die Auswirkungen auf den Körper und warum ein Verbot, Betäubungsmittel mitzuführen, nicht sinnvoll ist.

KURIER: Seit wann nehmen Sie in der gynäkologischen Praxis den Einsatz von sogenannten K.o.-Tropfen und anderen Betäubungsmitteln wahr?
Barbara Maier: In den gynäkologischen Ambulanzen seit einigen Jahren. Allerdings ist das wahrscheinlich auf eine gesteigerte Awareness für diese Problematik zurückzuführen. Aufklärungskampagnen haben dazu beigetragen, dass vermehrt Betroffene die Spezialambulanzen aufsuchen bzw. auch von Begleiter:innen gebracht werden, die den Verdacht auf Verabreichung von K.o.-Tropfen äußern. Seit eineinhalb Jahren gibt es im WIGEV (Wiener Gesundheitsverbund) eine Anleitung (SOP/Standardized Operating Procedure), wie bei Frauen vorzugehen ist, die nach berichteter Bewusstseinseintrübung und Gedächtnisverlust mit Verdacht auf K.o.-Tropfen die gynäkologischen Ambulanzen des WIGEV aufsuchen. In dieser SOP ist festgelegt, dass Blut und Harn auf K.o.-Tropfen - damit ist eine große Palette von Substanzen gemeint- untersucht wird. Die klassischen K.o.-Tropfen wie z.B. Liquid Ecstasy, aber viele andere auch wie Benzodiazepine, sind allerdings nur einige Stunden lang nachweisbar.
Geboren 1957 studiert Maier Gynäkologie und Geburtshilfe an den Salzburger Landeskliniken, habilitiert sich an der Medizinischen Universität Wien. Von 2015 bis 2024 ist sie Vorständin der Abteilung für Gynäkologie und Geburtshilfe der Klinik Ottakring des WIGEV. Maier ist Professorin für Gynäkologie und Geburtshilfe an der Sigmund Freud Universität Wien, Vorsitzende der Ethikkommission der Sigmund Freud Universität Wien und gerichtlich-beeidete Sachverständige für Gynäkologie und Geburtshilfe.

Barbara Maier
Bekannt sind Tropfen in Getränken, mittlerweile sollen Substanzen auch in Handcremen vermischt werden. Worauf muss man abseits von Lokalen noch achten, um gewahr zu sein, nicht mit diesen Mitteln in Berührung zu kommen?
Man muss immer daran denken, dass K.o.-Tropfen in Getränken, seltener auch in Speisen gemischt vorkommen können. Das kann bei Dates, privaten Einladungen - bei jeder Gelegenheit vorkommen. In bestimmten Milieus ist häufiger damit zu rechnen, allerdings sind auch in sicher scheinenden Bereichen solche Attacken nicht auszuschließen.
Laut Gesundheitsministerium werden unter dem Begriff Knockout-Tropfen Mittel verstanden, die wegen ihrer dämpfenden Wirkung im Rahmen von Straftaten zur Betäubung der Opfer benutzt werden. Verwendet werden einerseits bestimmte, als Suchtmittel klassifizierte Substanzen bzw. Zubereitungen (insbesondere Arzneimittel aus der Gruppe der Benzodiazepine oder auch der als Narkotikum medizinisch eingesetzte psychotrope Stoff 4-Hydroxybutansäure – auch als Gamma-Hydroxy-Buttersäure oder GHB bezeichnet). Andererseits kommen auch Chemikalien zum Einsatz, die von vornherein nicht zur Einnahme bzw. Aufnahme, sondern für industrielle Zwecke bestimmt sind und auf die daher weder das Arznei- noch Suchtmittelrecht anwendbar sind. Ein Beispiel dafür wäre etwa das u.a. als Lösungsmittel/Felgenreiniger (!) Verwendung findende Gamma-Butyrolacton (GBL), das aber nach Einnahme im Körper zu GHB metabolisiert. GBL ist in Österreich als Neue-Psychoaktive-Substanz (NPS) im Sinne des Neue-Psychoaktive-Substanzen-Gesetz (NPSG) klassifiziert. Der Handel mit NPS ist, sofern er darauf abzielt, dass die Substanz am menschlichen Körper angewendet wird, verboten.
Worauf führen Sie die steigende Zahl an Fällen – laut offizieller Statistik des Innenministeriums kam es 2024 österreichweit zu 110 Delikten gemäß § 201 StGB, bei denen Betäubungsmittel verwendet wurden - zurück? Wie hoch ist mutmaßlich die Dunkelziffer?
Auf die Einstellung zu Sexualität, auf die Einstellung zu Frauen in unserer Gesellschaft. Dazu kommt, dass die Substanzen relativ leicht verfügbar sind. Die Dunkelziffer an Delikten dürfte um ein Vielfaches höher als die angezeigten Delikte sein. Die Substanzen sind nur einige Stunden im Blut oder Harn nachweisbar. Es bräuchte also eine rasche Untersuchung, zu der es meist nicht kommt - aufgrund der nachhaltigen Benommenheit und der Erinnerungslücken der Betroffenen. Sie suchen erst viel später eine Ambulanz auf. Es ist aber eine gesteigerte Detektionsrate nach Untersuchungen festzustellen.
Wie kann oder muss man sich die Wirkung/Auswirkung von K.o.-Tropfen auf Körper, Geist, Seele vorstellen?
Die Wirkung tritt rasch ein - viel rascher als das bei Alkoholkonsum der Fall ist. Sie kann sich in Benommenheit, Übelkeit, Erbrechen, Kopfschmerzen, Antriebslosigkeit äußern. Wie ausgeprägt diese ist, hängt von einer bereits konsumierten Alkoholmenge wie individuellen Voraussetzungen ab - Alkohol ist ein Verstärker der Wirkung von K.o.-Tropfen. Extrem verunsichernd ist die mangelnde Erinnerung an das, was geschehen sein könnte, was mit einem passiert sein könnte, welche möglichen Probleme wie Infektionen, STD (Sexual Transmitted Diseases/sexuell übertragbare Krankheiten, Anm.), HIV etc. man dadurch bekommen haben könnte oder ob man schwanger geworden sein könnte. Wenn man abklärt, kann man zumindest obige Probleme ausschließen oder gegebenenfalls durch Behandlung Abhilfe schaffen. Dies ist für die psychische Verarbeitung essentiell. Die Verarbeitung beginnt mit der Diagnose und wird torpediert, wenn Betroffene gänzlich im Unklaren bleiben.
Wie lange dauern durchschnittliche die Wirkungen und Nebenwirkungen an?
Die Bewusstlosigkeit kann Stunden dauern - je nach Art der Substanzen und dem zusätzlich konsumierten Alkohol. Die gravierendste Nebenwirkung ist das Gedächtnisloch und die Verunsicherung, was geschehen sein könnte. Dazu kommen Schuld- und Schamgefühle.
Besteht die theoretische Möglichkeit, sich dieser Substanzen zu entledigen, indem man sich übergibt?
Eher nicht, man wird die Intoxikation nicht schnell genug merken, um entsprechend reagieren zu können.
Was können und sollen Menschen tun, die glauben, betäubt und/oder missbraucht worden zu sein?
Sobald als möglich eine Notfallambulanz aufsuchen, eine gynäkologische Untersuchung vornehmen lassen, um gegebenenfalls Missbrauchsnachweise zu erheben und auch eine Notfallkontrazeption durchzuführen. Es geht auch um die Abklärung von sexuell übertragbaren Krankheiten (STD), um Expositionsprophylaxe (Pille danach u.ä.). Auf jeden Fall den Vorfall zur Anzeige bringen, da sich so die Täter nicht zum wiederholten Male - ohne je befürchten zu müssen, belangt zu werden - an Frauen vergehen können.
Muss die Politik abseits von Bewusstseinskampagnen und Mitteln für Gewaltambulanzen aus Ihrer Sicht tätig werden. Wäre es beispielsweise zielführend allein das Mitführen von Betäubungsmitteln unter Strafe zu stellen bzw. zu sanktionieren?
Hauptaufgabe der Politik ist Awareness-Building, Kampagnen zu organisieren und Aufklärungsmaterial zur Verfügung zu stellen, dies vor allem auch in Schulen und Lehrlingseinrichtungen. Da die Rechtssprechung im Zweifel für den Angeklagten agiert, muss ein Nachweis erbracht werden, dass K.o.-Tropfen verabreicht worden sind. Und das ist schwierig, es sei denn, es gibt - wie in manchen Lokalen bereits vorhanden - Kameras, die eine Beweisführung ermöglichen oder Begleitpersonen, die aussagen können. Ein Verbot, Betäubungsmittel mitzuführen, ist nicht sinnvoll, da es sich um so viele verschiedene und oft auch wechselnde Substanzen handelt – von Gammahydroxybuttersäure, Liquid Ecstasy über Benzodiazepine, von Ketamin, Atropin über Neuroleptika, um nur einige zu nennen. Dies würde in der Praxis kaum möglich sein.
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