Warum Alt-Erdberg verschwand: Zu Besuch im Bezirksmuseum Landstraße

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Warum Trauer und Verklärung oft ganz nah beieinanderliegen, zeigt sich bei einem Besuch im Bezirksmuseum.

Es kommt gar nicht so oft vor, dass man mit jemandem ins Gespräch kommt, der das Glück hat, seinen Jugendtraum zu leben. Einer dieser Menschen ist Franz Hofbauer. Sein Traum war es immer, ein Museum zu leiten – doch sein Weg führte ihn zuerst für viele Jahre in die Steuerberatung und Lohnverrechnung. „Aber dann hat die Geschichte gewonnen“, sagt er. 2011 legte er die Prüfung zum Fremdenführer ab. Und vor drei Jahren erfüllte er sich seinen Traum und übernahm die Leitung des Bezirksmuseums Landstraße.

Von seinem reichen Wissensschatz und seiner Begeisterung für die Geschichte und den Bezirk profitieren nun die Besucherinnen und Besucher. Das Bezirksmuseum steht derzeit ganz im Zeichen der Jahre 1945–1955 und der sogenannten Assanierung Alt-Erdbergs. Die Beseitigung des alten dörflichen Ensembles begann bereits in der Zwischenkriegszeit mit dem Bau des Rabenhofes und war 1955 vollständig abgeschlossen.

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Franz Hofbauer mit einem Modell von Alt-Erdberg - vor und nach der Assanierung. 

„Es gab ja keine durchgehende Wasserversorgung, keine Kanalisation, und auch die Kleinkriminalität war ein großes Problem“, sagt Hofbauer und zeigt auf die lang gestreckten, niedrigen Höfe und verwinkelten Gassen des aufgebauten Miniaturmodells. „Die Leute haben gesagt: Wir hätten nichts dagegen, den Schirm nur draußen aufzuspannen und nicht auch drinnen.“ Kurzum: Die Wohnverhältnisse waren katastrophal.

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Zumindest auf dem Ölgemälde sieht das Erdberger Dörfl sehr einladend aus.

Die rosarote Brille

Auf den Aquarellen und Ölgemälden in den hinteren Räumen des Museums, auf denen das „Erdberger Dörfl“ vor dem Abriss von verschiedenen Landstraßer Künstlern einst bildlich festgehalten wurde, sucht man das Elend aber vergeblich: malerische Hinterhöfe, enge Gassen mit Kopfsteinpflaster, sonnenbeschienene Gasthäuser mit Blumenschmuck. „Man war halt einerseits froh, dass es weg war – und hat es gleichzeitig verklärt und betrauert“, erklärt Hofbauer.

Die Zimmerflucht des Museums spiegelt die bewegte Geschichte des Bezirks wider. Aber auch Hofbauer kann viel über seinen Heimatbezirk erzählen. Zum Beispiel, dass am Areal des heutigen Rennwegs einst die Zivilstadt des Römerlagers Vindobona stand. Oder dass König Richard Löwenherz auf dem Rückweg von seinem Kreuzzug in Erdberg gefangen genommen wurde. „Ein krimineller Akt des Herzogs von Österreich, dafür wurde er auch exkommuniziert. Aber: Mit dem erpressten Lösegeld konnten vier Städte in Österreich mit Stadtmauern befestigt werden. Es hat sich also gewissermaßen ausgezahlt“, sagt er und lacht.

Erinnerung und Widerstand

Ein Raum im Museum ist der Erinnerung an die jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger des Bezirks gewidmet. An einer Wand hängt ein Foto einer sogenannten „Reibpartie“, bei der Wiener Juden zum öffentlichen Abwaschen der Gehsteige gezwungen wurden. „Der Enkel eines der Männer auf dem Foto lebt heute in Israel. Er war zu Besuch in Wien – und auch bei uns im Museum. Eine sehr ergreifende und besondere Begegnung“, erinnert sich Hofbauer, während er langsam in den nächsten Raum geht.

Dieser steht im Zeichen des Widerstands gegen den Nationalsozialismus. „Diesen Raum habe ich sehr gerne eingerichtet, auch weil mein Großvater im Widerstand tätig war“, erzählt Hofbauer über den Mann, nach dem er getauft wurde. Franz Hofbauer senior, ebenfalls gebürtiger Landstraßer, war Straßenbahnfahrer und wurde 1942 wegen seines Engagements in der „Roten Hilfe“ im Konzentrationslager Dachau interniert. Diesem entkam er erst nach dessen Befreiung im April 1945.

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Die Porzellanfigurinen von Franz Hofbauer sen.

Mit dabei hatte er zwei Porzellanfigurinen – diese mussten Häftlinge in der angeschlossenen Porzellanmanufaktur Allach herstellen. „Es sind die einzigen greifbaren Erinnerungsstücke, die mir von meinem Großvater geblieben sind“, sagt Hofbauer. „Sie standen immer in unserer Wohnung.“ Jetzt liegen Reh und Elefant im Museum in einer Vitrine – als Mahnmal und zur Erinnerung.

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Museumserweiterung nach unten.

In der ehemaligen Rumpelkammer

Seit Hofbauer das Museum leitet, ist die Ausstellungsfläche gewachsen – und zwar nach unten. Der Keller, „früher eine Rumpelkammer“, ist nun Teil des Museums – und auch hier findet sich allerlei Historisches und Kurioses. Darunter ein alter Mammutknochen, der um 1790 bei der heutigen Landstraßer Hauptstraße ausgegraben wurde, die Garderobe einer mondänen Landstraßerin aus den 20er- und 30er-Jahren, oder ein durch ein Unwetter abgebrochenes Stück einer 1.000-jährigen Eibe, die im 3. Bezirk steht. 

Entlang des langen Kellerganges sind an der Wand alte Straßentafeln und Hausnummern montiert, die meisten davon aus dem alten Erdberg. „Das Letzte, das von diesen Häusern geblieben ist“, sagt Hofbauer.

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Wurde dem Museum gespendet: Die Garderobe einer mondänen Wienerin aus den 20er- und 30er-Jahren. 

Und damit auch ein Grund, warum Bezirksmuseen seiner Meinung nach für die Stadt und ihre Bewohner wichtig sind: „Das Wien Museum kann ja nicht alles zeigen, hier können wir viel mehr ins Detail gehen.“ Dass es die Bezirksmuseen überhaupt gibt, macht ihn stolz. „Wien ist die einzige Stadt, wo jeder Bezirk ein Museum hat, das gibt es weder in Paris, London noch in Rom.“

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