Begrünte Wartehäuschen in Wien: Dekoration oder Notwendigkeit?
Kühlende Wasserfontänen, zusätzliche Bäume und jetzt auch begrünte Öffi-Haltestellen: Im diesjährigen Sommer vergeht kaum eine Woche, ohne dass die Stadt Wien – meistens in Person von Umweltstadträtin Ulli Sima (SPÖ) – eine neue Maßnahme präsentiert, die die Hitze erträglicher machen soll.
Das jüngste Projekt: Fünf Straßenbahn-Wartehäuschen (Franz-Josefs-Kai, Julius-Raab-Platz, Universitätsring/Stadiongasse, Parkring und Vorgartenstraße), an denen nun versuchsweise Kletterpflanzen emporranken.
„Damit wird das Wartehäuschen beschattet und die Umgebungstemperatur gesenkt“, sagte Stadträtin Sima am Montag bei der Präsentation. Doch ist das realistisch? Machen ein paar Stöcke „Mauerkatzen“ (auch „Wilder Wein“ genannt) einen Unterschied?
Begrünte Wartehäuschen gegen Hitze
Ja, aber nur eingeschränkt, sagt Ingenieurbiologin Rosemarie Stangl von der Wiener Universität für Bodenkultur (BOKU) im Gespräch mit dem KURIER. „Was die Abkühlung betrifft, würde ich die Erwartungshaltung nicht zu hoch schrauben“, sagt sie.
Dass Pflanzen die Umgebung kühlen, ist zwar nachgewiesen – unter einem Baum kann die Lufttemperatur beispielsweise zwei bis drei Grad geringer sein als in der Umgebung. Aber: „Bei Bäumen macht die Kombination aus Verdunstung von Wasser und Beschattung den kühlenden Effekt aus“, sagt Stangl.
Bei der viel kleineren Grünfläche auf den Straßenbahn-Wartehäuschen funktioniere das weniger gut.
Mehr Anstrengungen nötig
Auch in Summe sieht Stangl die Lösung für mehr Kühle nicht allein in begrünten Wartehäuschen. Denn angesichts der vielen angrenzenden asphaltierten und verbauten Flächen seien die bepflanzten Wartehäuschen zu wenig. Um Wien spürbar kühler zu machen, muss die Stadt also an größeren Hebeln drehen.
Einer davon ist der Neubau. Aus Stangls Sicht braucht es in diesem Bereich strengere Standards für den Ausgleich wegfallender Grünflächen und für die Begrünung von Flachdächern.
Derzeit werden nämlich großteils nur Dächer öffentlicher Gebäude bepflanzt – und zwar häufig in einer Minimalvariante mit kargen, anspruchslosen Pflanzen, sogenannten Sukkulenten, wie Hauswurz oder Fetthenne. „Da ist mehr möglich. Zum Beispiel eine Blühwiese oder sogar Sträucher“, sagt Stangl.
Strengere Vorschriften brauche es bei Bauprojekten auch für Grünflächen am Boden. „Über die Freiflächen wird meistens erst zum Schluss nachgedacht. Sie sollten schon mit der Ausschreibung oder Baubewilligung festgeschrieben werden.“
Behausung für Insekten
Viel Grünfläche ist zudem bei der Gestaltung öffentlicher Plätze zu holen – etwa mit Bäumen und Sträuchern.
Als Schönfärberei würde Stangl die grünen Wartehäuschen aber dennoch nicht bezeichnen: „Sie sind eine Möglichkeit, Bewusstsein zu schaffen und ein Zeichen zu setzen.“
Letztlich gehe es nicht allein um die Kühlung, sondern auch um die Natur: Die Kletterpflanzen dienen etwa Insekten als Behausung.
Probephase
Die Stadt will die begrünten Wartehäuschen jedenfalls ein Jahr testen. Sofern es nicht zu übermäßigem Vandalismus kommt, könnte das Projekt auf die 2.200 restlichen Wartehäuschen in Wien ausgedehnt werden. Bei Wartehäuschen-Neubauten soll die Begrünung künftig bereits in die Planung einfließen, hieß es am Montag.
Zumindest einen visuellen Gewinn bieten die Mauerkatzen übrigens auch im Herbst: Ihre Blätter verfärben sich nämlich rot und sollen die Stationen dann optisch aufwerten.
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