„Before“ wir aufgeben: Die unmögliche Filmroute

Ein Blick in einen Plattenladen mit Schallplatten, CDs und Postern von Musikern und Filmen wie „Before Sunrise“.
„Before Sunrise“. Wie realistisch ist der Spaziergang bis zum Morgengrauen im 90er-Jahre-Klassiker? Wir haben es getestet. Eine Geschichte des Scheiterns.

Nie war die ÖBB so romantisch wie in der Anfangsszene von „Before Sunrise“. Ein Blick, ein kurzes Gespräch und schon hat Amerikaner Jesse (Ethan Hawke) die Französin Celine (Julie Delpy) dazu überredet, am Westbahnhof auszusteigen und gemeinsam einen Tag und eine Nacht in Wien zu verbringen. 

Ethan Hawke und Julie Delpy in einer Szene aus dem Film „Before Sunrise“.

So beginnt die Liebesgeschichte – und Filmtrilogie im Jahr 1995. Sie sammelt bis heute ihre Fans. Denn auch Wien war nie so romantisch wie in diesem Film.

Liebesgeschichte ist es bei uns zwar keine, und kennen tun wir uns auch schon, aber dennoch wollen wir Wien durch Celine und Jesses Augen sehen – und auf ihren Spuren durch die Stadt wandeln.

Ein Regal voller Schallplatten, sortiert nach Jazz-Künstlern von A bis Z.

Übermütiger Start

Unser Ziel: Die Route logischer gestalten, denn die beiden Touristen hüpfen von einem Ort zum Nächsten. Es wird deshalb im Vorfeld einstimmig beschlossen, den Friedhof der Namenlosen auszulassen – denn wer ist nach der Arbeit im Dunkeln schon gerne am Friedhof.

Auch der Zeitfaktor spielt mit, denn die Fahrt und ein Spaziergang dort würden uns rund drei Stunden unseres Nachtspaziergangs kosten. 

Unsere Route beginnt am Bahnhof, aber in Heiligenstadt und nicht am Westbahnhof.

Der erste richtige Stopp ist das Plattengeschäft Teuchtler. Dort hören sich die beiden Touristen Kath Blooms „Come Here“ an – deshalb tun wir das auch. 

Und wir sind nicht die Einzigen, denn die Verkäuferin erzählt uns, dass der Laden rund drei Jahrzehnte später immer noch ein Magnet für Filmfans ist. Kein Wunder also, dass wir eine Gruppe spanischer Touristen dort antreffen.

Auf einen Kaffee ins Café Sperl

Gleich danach machen wir uns auf den Weg ins Café Sperl, wo wir die Spanier wiedertreffen. Sie sind wohl auch auf den Spuren von Celine und Jesse unterwegs. 

Innenansicht eines traditionellen Wiener Kaffeehauses mit Tischen und gepolsterten Sitzbänken.

Typisch Wiener haben wir uns bei Kaffee und Spritzer vertratscht: „Kaffee muss man langsam trinken“, erklärt Anna. Als wir das Café verlassen, ist es bereits dunkel.

Vom Zollamtssteg bis zum Prater

Auf der Brücke zum Zollamtssteg hat Anna, nach anfänglichen Schwierigkeiten mit der neuen Kamera, dann die Einstellung für Nachtaufnahmen gefunden. Die Fotos sind also endlich brauchbar. 

Da uns dort aber niemand zu einer Theatervorführung einlädt, ist der Stopp sehr schnell abgewickelt.

Eine Brücke führt nachts zu einem beleuchteten Gebäude.

„Ich liebe es“ , sagt Anya voller Begeisterung. Sie meint nicht den leeren Prater, sondern das Durchstreichen einer Station auf unserer Route. Wir versuchen uns an einem Boxautomaten. 

Abgezockt und ausgepowert

Mit voller Wucht schlagen wir auf den Boxsack ein. Beim siebenten und letzten Mal geht uns schließlich die Puste aus – deshalb ist am Foto nur unser „Lowscore“ statt „Highscore“ abgebildet. 

Wir haben bei den anderen Runden natürlich viel besser abgeschnitten. Abgezockt fühlen wir uns dennoch, denn bei einem Automaten erhält man für einen Euro nur zwei Schläge. 

Die Investition war es aber trotzdem wert. Wir sind uns aber einig, der Prater im Winter gibt bei Weitem weniger her als bei den sommerlichen Temperaturen von Jesse und Celines Wientour.

Ein beleuchtetes Glücksrad auf einem Jahrmarkt bei Nacht.

Boxautomat im Prater

Planlos trotz Plan

„Mah, jetzt waren wir nicht am Donaukanal!“. Die scheinbare Planlosigkeit, die Jesse und Celines Spaziergang so charmant machte, wächst uns langsam über den Kopf. Dabei hatten wir eigentlich einen Plan – und Google Maps! Wir fahren beim Stephansplatz die Rolltreppe hinauf, kalter Wind empfängt uns.

Der McTraumprinz

Das Gespräch dreht sich jetzt schon länger um Pommes. Die Lösung ist sehr nahe: Einkehren bei McDonalds. Wer sagt schließlich, dass die beiden Touristen in den 90ern sich zwischendurch nicht auch einen schnellen Snack gegönnt haben? Wir füllen nur die Handlungslücken.

Auf die Toilettengebühr wird Anya mangels Münzen von einem netten jungen Mann eingeladen. Wäre das jetzt ein Film, wäre das wohl der Beginn einer wunderschönen Romanze.

Das „Kleine Café“ in Wien mit Tischen und Stühlen vor der Tür.

Kleines Café

Gestärkt geht es weiter Richtung menschenleeren Franziskanerplatz und „Kleines Café“. 

Liebe liegt in der Luft

Hier wird Celine von einer mysteriösen Erni Mangold aus der Hand gelesen – im Schanigarten, es ist schließlich Sommer. Uns aber ist kalt, darum setzen wir uns hinein. 

Unauffällige Beobachtung des Publikums ergibt: Drei aktive Dates, queer als auch hetero. Liebe liegt in der Luft, da hatte der Film jedenfalls recht. Anyas Vorschlag, die Route abzukürzen und direkt zum Abschied am Westbahnhof vorzuspulen wird mit sanfter Strenge von Anna abgeschmettert. 

Wir müssen noch zur Albertina und beim Spittelberg vorbei. „Leider“ ist zumindest das Roxy an diesem Abend geschlossen und für das Arena-Café reicht die Motivation nicht mehr ganz.

Ein Bahnsteig im Wiener Westbahnhof bei Nacht.

Am Westbahnhof am Gleis 7 endete die Reise

Abreise von Gleis 7

Und dann, genau um Mitternacht, nach sieben langen Stunden Wientour, endet unser Weg (endlich) am Gleis 7 des Wiener Westbahnhofs. 

Es ist aber, anders als bei Celine und Jesse, nur ein Abschied bis zum nächsten Arbeitstag.

Unser Fazit: Der Spaziergang in „Before Sunrise“ folgt keiner Logik – unsere Route jedoch auch nicht. Aber es ist schön, wie selbstbewusst wir im Vorfeld waren, dass wir es sicher besser machen als die zwei Touristen.

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