Bausünden: Jeden Monat ein abgerissenes Haus

Könnte dieses Haus im Abreiß-Kalender 2024 landen?
Nach einigen Jahren Pause gibt es in Wien wieder einen "Abreiß-Kalender" im Handel. Abgerissene historische Häuser werden wohl viel zu oft durch durchschnittliche Neubauten ersetzt.

Das Haus mit der Nummer 13 in der Sperrgasse im 15. Bezirk ist erhaltenswert. Theoretisch. Die MA 19 (Architektur und Stadtbild) hat das festgestellt. Praktisch wird es demnächst abgerissen. Der entsprechende Bescheid der MA 37 (Baupolizei) ist bereits rechtskräftig.

Die Sperrgasse 13 (siehe Titelbild) ist eines von vielen Beispielen in Wien, die zeigen, warum eine Novelle der Bauordnung notwendig ist, um Gründerzeithäuser zu erhalten. In mehreren Gutachten konnte nachgewiesen werden, dass eine Sanierung des Hauses nicht finanzierbar wäre: Es ist in so desolatem Zustand, dass die Eigentümer die Kosten für die Sanierung nicht durch Mieteinnahmen wieder ausgleichen könnten.

Und zwar auch nicht, wenn alle dafür vorgesehenen Förderungen zu Erhaltung ausbezahlt würden. „Wirtschaftliche Abbruchreife“ heißt das im Fachjargon. Damit darf das Haus legal abgerissen werden, obwohl es eigentlich erhaltenswert wäre oder in einer Schutzzone steht. „Da geht es auch um den Eigentumsschutz“, sagt Gerhard Cech, Leiter der Baupolizei.

Bausünden: Jeden Monat ein abgerissenes Haus
Bausünden: Jeden Monat ein abgerissenes Haus

Aus dem Abreißkalender 2023

Kalendertitelbild: Das abgerissene Jahrhundertwendehaus in der Weinzingergasse in Döbling und der Neubau aus 2020 werden gegenübergestellt.

Abreiß-Wandkalender

Die „wirtschaftliche Abbruchreife“ kritisiert auch Dieter Klein. Der Kunsthistoriker hat in den 80ern das erste Mal einen Abrisskalender namens „Wiener Abreißkalender“ herausgebracht: Jeden Monat zeigt der Wandkalender ein Haus, das abgerissen wurde, und daneben, was an derselben Stelle gebaut wurde. Quasi zum Nochmals-selbst-Abreißen. Für das Jahr 2023 hat er gemeinsam mit der Initiative Denkmalschutz einen neuen Kalender gestaltet. Dieser ist in der Dombibliothek, Leo Universitätsbuchhandlung und Buchhandlung Tyrolia für 17,20 Euro zu kaufen. Von 200 wurden 50 Stück verkauft.

„Nur wenige interessieren sich dafür, aber es gibt viele Häuser, die man in den Kalender nehmen könnte“, erzählt der 80-Jährige. „In Wien wird mehr als in München abgerissen“, sagt der ehemalige Reiseleiter. Für München produziert der Nostalgiker nämlich auch so einen Kalender.

Bausünden: Jeden Monat ein abgerissenes Haus
Bausünden: Jeden Monat ein abgerissenes Haus

Monat November im Abreiß-Kalender

In der Grimmelshausengasse 12 (3. Bezirk) wohnte ein Schulkollege von Dieter Klein, heute steht hier ein fünfstöckiges Haus.

Die Idee dafür kam ihm im Jahr 1980, als er ein Praktikum beim Münchner Denkmalamt machte. Dort entdeckte er den Basler Abriss-Kalender, der ihn dazu inspirierte: „Wenn alte Häuser abgerissen werden, tut es mir weh“, sagt er. Schon als Kind musste er beim Anblick zerstörter Häuser weinen. „Meine Eltern wunderten sich über ihr altmodisches Kind“, sagt er lachend. Und daher war es ihm ein persönliches Anliegen, Geschichte zu dokumentieren.

Noch heute lebt er im selben Haus im 3. Bezirk, in dem seine Großeltern lebten. In seiner Geburtsstadt Gablonz – im damaligen Böhmen und heutigen Tschechien – wurde er für seine Dokumentation historischer Häuser ausgezeichnet. Außerdem lernte er viel über den Siegeszug der Münchner Architektur im 19. Jahrhundert in seiner Forschungsarbeit für das damalige Kulturamt (heutige MA 7) .

Hier ging es vor allem um die Länder der Donaumonarchie. Noch heute findet man manchmal exakt gleiche Häuser in Wien und in Budapest, meint er. Aber wohl nicht mehr lange: „Wenn der Denkmalschutz nur helfen würde“, sagt er. Oft stehen Häuser absichtlich 20 Jahre leer und dann komme eben die wirtschaftliche Abbruchreife.

Bausünden: Jeden Monat ein abgerissenes Haus
Bausünden: Jeden Monat ein abgerissenes Haus

Im Abreißkalender der Monat April

Wo früher das ehemalige Gericht in der Rüdengasse 7 im 3. Bezirk stand, befindet sich jetzt ein Neubau.

Kaipalast, Spittelberg

„Egal ob Barock- oder Biedermeierhaus, wenn Sie in Wien die richtigen Leute kennen, ist das Haus bald weg“. Da sei auch Schmiergeld involviert. Aber das könne er nicht beweisen, nur vermuten. „Man stelle sich nur vor, wie es wäre, wenn damals das Spittelberg-Viertel wirklich abgerissen worden wäre“. Ein berühmtes Beispiel brutaler Abbrüche sei auch der Fall des ehemaligen Kaipalastes am Franz-Josefs-Kai. „Dort wurde der Bauschutt im Haus gelagert, um mit dieser Masse die Stockwerke zum Einsturz zu bringen “, sagt er. Wenn es so weitergehe, bleibe nur wenig aus der Jahrhundertwende übrig, meint Klein.

Bleibt nur zu hoffen, dass auch das anfangs erwähnte Haus im 15. Bezirk nicht eine weitere Seite im Abreiss-Kalender 2024 wird und somit ein Haus „zum Abreißen“.

Kommentare