"Viele Frauen trauen sich nicht ans Steuer, aber man spricht nicht darüber"

Fahrstunde bei Rosa Schein
Jahrelang nicht ans Steuer gesetzt, trotz Führerschein? Das Projekt "Rosa Schein" will Frauen die Angst vorm Autofahren nehmen. Der KURIER hat den Selbsttest gemacht.

Kaum ist der Motor gestartet, kommt eine leichte Panik auf, der Puls beschleunigt sich, die Hände am Lenkrad werden feucht. 

Kennen Sie dieses Gefühl? Falls ja, sind Sie bei weitem nicht alleine damit.

Viele Menschen haben einen Führerschein und trotzdem Angst davor, sich in den Straßenverkehr zu begeben. Speziell bei Frauen tritt die so genannte Amaxophobie, also die Angst vor dem Autofahren, deutlich häufiger auf als bei Männern. 

Fahrangst – ein "weibliches" Problem? 

Das Paradoxe: Frauen fahren statistisch gesehen weitaus umsichtiger. Männer verursachen doppelt so viele Verkehrsunfälle mit Personenschaden wie Frauen und sind sechs Mal so häufig alkoholisiert in Zwischenfälle auf der Straße verwickelt, wie eine Analyse des Verkehrsclub Österreich (VCÖ) zeigt. Kurz heruntergebrochen: Würden nur Frauen Auto fahren, gäbe es deutlich weniger Verkehrstote.

Und dennoch sind es häufig die Frauen, die sich nach bestandener Führerscheinprüfung nicht mehr ans Steuer trauen. Warum ist das so? "Die Genderthematik und die Rollenbilder, die vielen von Klein auf mitgegeben wurden, spielen hier sicherlich auch mit," vermutet Barbara Schwara, Inhaberin der Fahrschule Michelbeuern, im Gespräch mit dem KURIER. 

Wenn Frauen ihr Können unterschätzen

Die Zahlen unterstreichen diese Vermutung: Laut der VCÖ-Studie lenken 35 Prozent der Frauen in Österreich nie ein Auto, vier von zehn Frauen bleiben "nur" Mitfahrerin. Im Gegensatz zu vielen Männern unterschätzen Frauen ihr Können hinterm Steuer tendenziell mehr. Das führt dazu, dass sie nach der Führerscheinprüfung nicht weiter fahren wodurch sie wiederum das nötige Selbstvertrauen für den Straßenverkehr verlieren. Ein Teufelskreis.

"Leider schaffen es viele Frauen nicht, die notwendigen Automatismen aufzubauen, um nach längerer Pause wieder problemlos ins Auto zu steigen. Doch irgendwann erkennen sie, dass es wichtig wäre, wieder mobil zu sein. Sei es wegen Kinderbetreuung, einem Notfall, oder weil sie sich ein Auto im Urlaub mieten möchten," so Barbara Schwara.

Barbara Schwara und Daniela Hofmann von Rosa Schein

Barbara Schwara und Daniela Hofmann wollen mit "Rosa Schein" Frauen helfen, Fahrangst zu überwinden.

Von Frauen für Frauen: "Rosa Schein"

Um diesen Frauen zu mehr Mobilität und somit auch zu mehr Unabhängigkeit zu verhelfen, hat Schwara gemeinsam mit der Fahrlehrerin Daniela Hofmann das Projekt "Rosa Schein" in Wien ins Leben gerufen. Frauen wird hier in Auffrischungskursen das Selbstvertrauen für den Straßenverkehr zurückgegeben.

Der KURIER hat die Probe auf's Exempel gemacht: Kollegin Julia Deutsch hat seit sieben Jahren kein Auto mehr gelenkt und ist als gebürtige Oberösterreicherin noch nie im Wiener Stadtverkehr gefahren. Mit "Rosa Schein" ging es für sie sogleich ans Eingemachte mitten hinein in den Nachmittagsverkehr am Gürtel. 

Respekt und Wertschätzung statt Macho-Sprüche

"Versuche, angehupt zu werden, als Kommunikation zu sehen, nicht als Pöbelei. Dann ist der Stresspegel für dich viel geringer." Mit solchen Tipps schafft Fahrlehrerin Hofmann eine entspannte Atmosphäre im Auto. Zugegeben, kein unüblicher Blickwinkel im Wiener Straßenverkehr, über den wir alle kurz lachen müssen. Aber es funktioniert: Kollegin Deutsch lenkt das Auto behutsam über den Gürtel, bleibt gelassen in der mittleren Fahrspur und lässt sich von diversen Fahrern, die "Wer-überholt-wen-am-schnellsten" rechts und links von ihr spielen müssen, nicht irritieren. 

Die Fahrschülerinnen kommen aus unterschiedlichsten Beweggründen zu "Rosa Schein". "Manchmal sind es ältere Damen, deren Ehemänner verstorben sind, und die nun selbst mit dem Auto fahren möchten, um mehr am gesellschaftlichen Leben teilhaben zu können." Auch der ruppige Stadtverkehr sei für viele eine große Hürde. Die Angst davor müsse erst überwunden werden. "Einige trauen sich nicht mehr zu fahren, weil sie von ihren Mitmenschen eingeschüchtert wurden, die schimpfen, viel hupen und Stress verursachen. Diese Spannung versuchen wir zu nehmen. Es soll wie eine Fahrt mit einer Freundin sein," erklärt Hofmann. 

Ein Gegensatz zu so manchen Geschichten, die man immer wieder über männliche Fahrlehrer zu hören bekommt. "Bei 'Rosa Schein' fahren wir mit vielen Frauen im Alter zwischen 30 und 50 – und von denen berichten einige von negativen Erfahrungen in der Fahrschule," so Barbara Schwara. Unangenehme Erlebnisse, die "damals mit 18 vielleicht einfach hingenommen wurden, nach dem Motto 'das ist halt so, das gehört dazu.' Aber im Laufe der Jahre reflektieren die Frauen darüber und erkennen, dass es Momente gab, die nicht okay waren und ihre Fahrschulzeit für sie daher keine angenehme Erfahrung war."

Zwar habe sie das Gefühl, dass die jetzige junge Generation tendenziell selbstbewusster sei und sich nicht mehr alles gefallen lasse – aber frei von unangenehmen Zeitgenossen sei die nach wie vor stark männlich geprägte Fahrschulszene in Österreich immer noch nicht. "Wenn wir heute zum Beispiel mit Frauen auf dem Übungsplatz fahren und dort hören, wie manche Fahrlehrer mit ihren jungen Schülerinnen sprechen ... ich würde mir so etwas nicht mehr bieten lassen. Aber 18-Jährige scheuen sich oft davor, in so einer Situation etwas zu sagen," schildert Schwara. 

Redakteurin Julia Deutsch während ihrer Fahrstunde bei "Rosa Schein".

Redakteurin Julia Deutsch während ihrer Fahrstunde bei "Rosa Schein".

Es braucht mehr Fahrlehrerinnen

Auch Fahrlehrerin Daniela Hofmann hat schon viele derartige Berichte von ihren Schülerinnen gehört. "Eine junge Frau, die dann später mit mir die Prüfung gemacht hat, hat mir erzählt, dass sie in ihrer vorigen Fahrschule immer erleichtert war, wenn sich der Fahrlehrer während der Stunden eine Zigarette angezündet hat – denn das hat bedeutet, dass er entspannt war und sie nicht anschreien würde."

Männliche Lehrer würden in der Ausbildung nach wie vor nicht sensibilisiert oder besonders geschult werden speziell im Umgang mit jungen Frauen. Barbara Schwara ortet daher einen großen Bedarf an mehr weiblichem Lehrpersonal: "Bitte Fahrlehrerin werden, und dann bei uns melden!", so die Fahrschulbesitzerin. Zwar würden gerade die Nachtfahrten sowie die oftmals langen Arbeitszeiten manche Frauen von dem Beruf abschrecken, "innerhalb eines Teams gibt es aber sicher Möglichkeiten, wie man sich das besser aufteilen kann," meint Schwara.

Daniela Hofmann war als Fahrlehrerin selbst Quereinsteigerin. Die Freude über die Erfolge ihrer Schülerinnen und Schüler ist für sie an dem Beruf besonders erfüllend. "Wenn die Menschen 20, 30 oder zwei Jahre nicht mehr gefahren sind und sich so ein Stück Freiheit zurückholen, ist das ein tolles Gefühl."

Tabuthema Fahrangst

Dass das Thema Fahrangst nach wie vor mit Scham behaftet ist, können beide Profis bestätigen. Es sei ein Tabu, viele würden sich schlichtweg nicht trauen, darüber zu sprechen – und das Problem somit nicht angehen. Zahlreiche Fahrschülerinnen und Fahrschüler schildern Hofmann etwa, dass sie von ihrem Umfeld lediglich ein "Setz dich rein und fahr doch einfach!" zu hören bekommen würden, wenn sie Furcht vor dem Autofahren gezeigt hätten. Ihr sei es daher besonders wichtig, ihren Schützlingen in einem wertfreien Umfeld die Sicherheit am Fahren zurückzugeben, statt "Augen zu und durch". Auch das sei ein Kernziel von "Rosa Schein".

KURIER-Redakteurin Julia Deutsch merkt man nach den knapp zwei Stunden Fahrt jedenfalls keinerlei Angst oder Nervosität mehr an. Entspannt lenkt sie uns über die Brünner Straße, durch Stammersdorf, über die Floridsdorfer Brücke und schließlich über den Gürtel zurück in den 18. Bezirk zur Fahrschule. Trainerin Hofmann bessert hier und da beim Kuppeln oder beim Spurwechsel kleine Schönheitsfehler aus, geizt aber auch nicht mit Lobesworten. "Es ist wichtig, hervorzuheben, wenn etwas gut gemacht wurde."

Am Ende der Fahrpraxis darf sich Kollegin Deutsch verdient auf die Schulter klopfen. Und überlegt schon, ob sie sich für den nächsten Urlaub nicht vielleicht doch ein Mietauto nehmen wird. 

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