Alkohol im Theater: Der Rausch und die Scham

Bernhard Dechant war ein sogenannter Rauschtrinker. Das heißt: Er war von Alkohol körperlich nicht abhängig, anders als ein Spiegeltrinker hatte er kein Problem damit, wochenlang nichts zu trinken. Aber wenn er dann einmal damit angefangen hatte, konnte er erst nach drei Tagen wieder aufhören.
„Zuletzt war das nur noch schiach“, sagt er. „Ich hab mich so geniert, hab mich nur noch zu Hause angesoffen.“
Seit zwei Jahren trinkt der 47-jährige Schauspieler nicht mehr. Und jetzt tritt er mit einem Theatersolo auf, in dem er seine Alkoholgeschichte zum Thema macht. Dass der Abend keine peinliche Nabelschau ist, liegt vor allem daran, dass Dechant einen gelungenen Kunstgriff anwendet: Vordergründig handelt das Stück vom legendären Wiener Schauspieler und Untergeher Oskar Werner, der kurz ein Weltstar war, um am Ende durch die Provinz zu tingeln und mit schwerer Zunge Rilke zu rezitieren.
Niveau von unten
Den Text für sein Solo „Oskar Werner: Kompromisslos in die Wiedergeburt“ hat Dechant teilweise aus Interviews mit dem berühmten Kollegen montiert, es finden sich herrlich größenwahnsinnige Sätze wie dieser darin: „Niveau schaut nur von unten aus wie Arroganz.“ Dechant spielt aber nicht nur Oskar Werner, sondern auch sich selbst; die beiden unterhalten sich, streiten miteinander – und irgendwann kann man sie nicht mehr so genau voneinander unterscheiden.
Das Stück hat Dechant zum ersten Mal vor zehn Jahren, damals noch mit dem Untertitel „Kompromisslos in den Untergang“, in der Roten Bar des Volkstheaters gespielt. 2020 hat er es, in veränderter Form, im Kultursommer wieder aufgeführt.
Inzwischen ist er bei der dritten Version angekommen, in der er vom Musiker Stefan Sterzinger begleitet wird, und erst jetzt ist Dechant halbwegs zufrieden. „Mein Problem mit dem Abend war immer, dass ich selbst nicht so genau wusste, was das eigentlich sein soll. Mir kam das so selbstmitleidig vor.“

Bernhard Dechant in seinem Oskar-Werner-Solo: „Ich hatte eine Wut auf ihn"
Bei der Arbeit am Stück gab es Phasen, in denen er Oskar Werner – bei allem Respekt – nicht mehr ausstehen konnte, ihn richtig ekelhaft fand. „Ich hatte eine Wut auf ihn“, sagt er. „Aber irgendwann hab ich begriffen, dass das auch Wut auf mich selbst ist. Ich dachte mir: Du findest das grauslich? Erinnere dich einmal daran, was du im Rausch alles gemacht hast.“
Woran merkt man, dass man ein Alkoholproblem hat? „Bei mir war das in dem Moment klar, wo ich gesehen hab: Ich verliere Dinge, die ich nicht verlieren will. Ich verliere Zeit, ich verliere Menschen.“
Nüchtern küssen
Seit März 2022 ist Bernhard Dechant trocken. Leichte Antidepressiva und jahrelange Gesprächstherapie haben dabei geholfen. Aber jetzt stand er auf einmal vor einem neuen Problem: „Ich bin draufgekommen, dass ich mich noch nie getraut hab, einer Frau nüchtern den ersten Kuss zu geben. Und ich wusste: Wenn ich das nicht schaffe, hab ich ein Einfallstor für den Alkohol.“
Oskar Werner
Der Wiener Schauspieler (1922–1984) war am Theater ebenso erfolgreich wie im Film, wo er auch international Karriere machte. Er drehte u. a. mit François Truffaut („Jules und Jim“, „Fahrenheit 451“) und Stanley Kramer („Das Narrenschiff“) und spielte den Mörder in einer „Columbo“-Episode. Werners letzte Lebensjahre waren von seiner Alkoholkrankheit überschattet
Bernhard Dechant
Der Wiener Schauspieler und Regisseur (geb. 1976) war Kinderdarsteller in Burg und Josefstadt und wirkte u. a. an mehreren Produktionen der aktivistischen Wiener Theatergruppe Die schweigende Mehrheit mit
Spieltermine
Bernhard Dechants Solostück „Oskar Werner: Kompromisslos in die Wiedergeburt“ wird im Lokal Spitzer im Odeon (Taborstraße 10) aufgeführt. Nächste Termine: 12., 13., 25., 26. und 27.4.; 15., 16. und 18.5., 20 Uhr.
Reservierung: oskar.werner@schweigendemehrheit.at
Bernhard Dechant hat nichts gegen Alkohol, er hat nur etwas dagegen, wie unsere Gesellschaft mit Alkohol umgeht. Gegen den „Trinkdruck“, wie er das nennt. In einer Therapiegruppe hat er eine Frau kennengelernt, die mit 50 draufgekommen ist, dass sie alkoholkrank ist. Als sie im Büro dann das obligate Sektchen am Freitagnachmittag ausließ, wurde sie von den Kolleginnen geschnitten. Statt sich zu erklären, hat sie sich geschämt.

Weltstar aus Wien: 1965 glänzte Oskar Werner an der Seite von Simone Signoret in dem Hollywood-Film „Das Narrenschiff“
Oder die SPÖ-Bezirksrätin, die irgendwann nicht mehr auf Feste ging, weil sie die ewige „Warum trinkst du nichts?“-Fragerei nicht mehr hören konnte – und dann natürlich nicht mehr gewählt wurde. Die Scham des Alkoholikers, der nicht mehr trinkt, kennt Dechant aus eigener Erfahrung. Aber mittlerweile ist ihm bewusst, wie absurd das ist. „Wenn ich so etwas höre, frage ich mich: Wofür schämt ihr euch? Es sind doch die anderen, die saufen.“
Wenn es nach Dechant ginge, wäre Alkoholwerbung verboten, und harte Getränke dürften nur noch in speziellen Geschäften – zusammen mit den anderen Suchtmitteln – verkauft werden.
Feind Jägermeister
Die Schnapsflascherln an der Supermarktkassa waren für ihn oft genug eine unwiderstehliche Versuchung. „Der kleine Jägermeister an der Kassa war mein persönlicher Feind“, erinnert er sich. „Fünf Stunden später bin ich mit der großen Flasche wieder an der Kassa gestanden.“
Mit Oskar Werner hat Bernhard Dechant inzwischen seinen Frieden gemacht. „Ich weiß ja, wie das ist, wenn man selber immer grauslicher wird – und alle anderen dafür verantwortlich macht.“ Am Ende des Stücks wendet er sich mit einer Bitte ans Publikum: „Wenn Sie das nächste Mal einen Alkoholiker sehen, denken Sie daran: Das könnte der Oskar Werner sein – oder ich.“
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