Aufgeregtes Stimmengewirr erfüllt den Saal, der früher einmal ein Pferdestall war. Die rund 200 Schüler stehen in Grüppchen zusammen: Die Burschen im Anzug mit Krawatte und weißen – teils wohl schon leicht verschwitzten – Handschuhen, die Mädchen in Rock oder Kleid.
Herausgeputzt, aufgeregt.
Sie bemerken nicht gleich, dass er den Saal betreten hat. Erst als die Stimme von Tanzschul-Besitzer Thomas Schäfer-Elmayer über die Lautsprecher hallt, verstummen sie, lauschen andächtig.
Jeder Zehnte
Ob sie wissen, will der Tanzschulbesitzer dann von ihnen wissen, wie viele Menschen, die ihre erste Tanzstunde hier erleben haben, derzeit in Wien leben?
200.000 Personen.
Ein überraschtes Raunen geht durch den Saal.
Immerhin hat damit mehr als jeder zehnte Wiener seine ersten Walzer-Erfahrungen, in jener Tanzschule gemacht, die wie keine andere in Österreich für Tradition und Etikette steht.
Traum vom Walzer
Heute, Dienstag, feiert diese Schule 100-jähriges Bestehen. Am 1. Oktober 1919 hatte sie Willy Elmayer-Vestenbrugg, Großvater des heutigen Tanzschulbesitzers, im Palais Pallavicini eröffnet.
Er, der bis zum Beginn des Ersten Weltkriegs zu den erfolgreichsten Reitern des k. u. k. Reitlehrinstituts zählte und zahlreiche Preise erritt, beschloss seinem zweiten Traum nachzugehen: Walzer tanzen. Nach anfänglichen Schwierigkeiten erlangte die Schule rasch große Beliebtheit. Schon 1920 hat es in einem Zeitungsartikel geheißen: "Rittmeister Willy Elmayer-Vestenbrugg, der bekannteste und beliebteste Tanzlehrer von Wien."
Was die Schule von anderen abhob? „Er war der Modernste“, sagt Thomas Schäfer-Elmayer über seinen Großvater. „Er war viel unterwegs und brachte die neuesten Tänze nach Wien.“ Aber auch das Benehmen war von Anfang an ein wichtiger Teil der Schule. Willy Elmayer-Vestenbrugg gab in der Bräunerstraße Anstandsunterricht.
Heute steht das Wort Elmayer ebenso für das Tanzenlernen wie für Etikette. Rund 100 Benimm-Seminare hält Thomas Schäfer-Elmayer im Jahr, hat neun Etikette-Ratgeber verfasst.
Er leitet kaum Tanzkurse, ist aber selbst mit der Einstudierung und Leitung zahlreicher traditioneller Balleröffnungen befasst. (Der Opernball ist seit 2009 nicht mehr dabei.)
Eine Tanz-Verdrossenheit kann Thomas Schäfer-Elmayer übrigens nicht feststellen. Tatsächlich hätten sich heuer so viele Jugendliche für einen Anfänger-Kurs eingeschrieben wie lange nicht.
33. Dienstjahr
Thomas Schäfer-Elmayer begeht heute übrigens auch ein persönliches Jubiläum. Er hat die Tanzschule ebenfalls an einem 1. Oktober übernommen – des Jahres 1987.
Gibt es bei den Schülerinnen und Schülern einen Unterschied zu damals?
„Es werden keine Streiche mehr gespielt. Ich kann mich etwa an einen Tanzlehrer erinnern, dem wurde der VW-Käfer mit Klopapier umwickelt. Mit Kreide wurden auf das Trottoir vor der Schule Walzerschritte gezeichnet. Und manchmal wurden in der Stunde Stinkbomben gezündet. Aber“, ergänzt er schnell und muss lächeln, „vielleicht ist es nicht so schlecht, dass sich manche Dinge ändern.“
Historische Tanzstunde
Heute, am 1. Oktober, ab 20.15 Uhr können Tanzbegeisterte Unterricht wie anno dazumal erleben: Tänze der 1920er-Jahre werden mit Klavierbegleitung am Originalschauplatz erklärt.
Anmeldung beim Roten Kreuz unter office@wrk.at, Spendenbeitrag (ab 10 Euro pro Person) an das Wiener Rote Kreuz überweisen (IBAN: AT02 6000 0000 9023 0000, Verwendungszweck: elmayer100).
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