Der letzte Zeuge wurde ausgeladen

Werner Doehner (88) wurde zu den Gedenkfeiern ein- und dann ausgeladen.

Ginge er ins Fernsehen, sie würden ihm Sondersendungen widmen. Aber Werner Doehner ist nicht so. Der letzte noch lebende Passagier der "Hindenburg"-Katastrophe vom 6. Mai 1937 hat selten einen Blick in sein Innerstes zugelassen. Zu tief war wohl die Verletzung. Zu groß der Verlust, den er als kleiner Bub erleiden musste.

Freitagabend wäre der pensionierte Ingenieur zum Gang ins Rampenlicht bereit gewesen. Im Clarion Hotel in Toms River nahe der Absturzstelle des seinerzeit größten Luftschiffs der Welt in Lakehurst/New Jersey wurden mit einem Fest-Dinner die Feierlichkeiten zum 80. Jahrestag eingeläutet. Doehner wäre gerne mit am Tisch gesessen. "Ich habe mich darauf gefreut, aber was soll’s", sagte der 88-Jährige, der mit seiner Frau Elin in der 1500-Einwohner-Gemeinde Parachute (Fallschirm) in den Bergen von Colorado lebt. Im Telefongespräch mit dem KURIER sprach er in akzentfreiem Deutsch.

Er verhehlte dabei nicht seine Irritation über eine seltsame Posse, deren Kurzfassung so geht: Erst wurde Doehner nach eigenen Worten offiziell zur Gala eingeladen. "Dann folgte vor etwa zwei Wochen von Carl Jablonski, dem Präsidenten der ,Historischen Gesellschaft der Marine‘ in Lakehurst, die Ausladung." Doehner vermutet finanzielle Probleme. Jablonski war für eine Stellungnahme nicht zu erreichen. So oder so. Den Gästen in Toms River entgeht der letzte lebende Augenzeuge.

Werner Doehner ist acht Jahre alt, als er gemeinsam mit Bruder Walter (10), Schwester Irene (14) und den Eltern Hermann und Matilde am 3. Mai 1937 in Frankfurt am Main den Zeppelin LZ 129 besteigt. Die wohlhabende Familie will über New York nach Mexiko-City, wo der Vater als General-Direktor des Pharmazie-Handelsunternehmens Beick tätig ist.

245 Meter lang, 118 Tonnen schwer, 41 Meter hoch, bis zu 130 km/h schnell, vier Diesel-Motoren, Platz für 72 Passagiere, die pro Nase 1000 Reichsmark für die einfache Fahrt zahlen, alle Kabinen mit fließend warmem Wasser, vergoldetes Geschirr, sogar ein Klavierflügel steht bereit. Vater Hermann filmt die vorbeiziehenden Eisberge und in New York das Empire State Building. Für den strohblonden Buben ist die Reise in dem fliegenden Luxushotel, das die Nazis als Propaganda-Werbeträger einsetzen, ein Spektakel ohne Beispiel.

Dann nach 77 Stunden, 100 Meter über dem Landeplatz in Lakehurst 80 Kilometer südlich von New York passiert bei schwerem Gewitter das bis dahin Undenkbare. "Die ganze Luft war plötzlich wie ein Feuer", sagt Doehner. Binnen Sekunden, eine elektrostatische Aufladung war die Ursache, geht das mit 200.000 Kubikmeter Wasserstoff gefüllte Luftschiff in Flammen auf und stürzt wie ein brennender Riesen-Lampion ab.

62 Menschen kommen mit teils schwersten Verbrennungen davon. Werner Doehner überlebt, weil seine Mutter ihn und seinen Bruder Walter in letzter Sekunde aus dem brennenden Riesen wirft. Beim Sprung hinterher bricht sie sich das Becken. Hermann Doehner bleibt in den Flammen, Schwester Irene erliegt am Tag danach ihren schweren Verletzungen.

90 Tage im Krankenhaus

In diesen Stunden wächst Doehners bis heute ausgeprägte Reserviertheit den Medien gegenüber. Im Krankenhaus von Point Pleasant, wo er über 90 Tage verbringt und mehrfach operiert wird, schleichen sich Foto-Reporter in die Krankenzimmer. "Sie waren sehr aggressiv. Dabei hat meine Mutter versucht, uns so gut es geht abzuschirmen." Über seine Erlebnisse bleibt Doehner über Jahrzehnte fast stumm. Erst 1998 öffnet er sich dem Filmemacher Peter Bardehle. In dessen großartiger Dokumentation "Titanic der Lüfte" (zu finden auf YouTube) sieht man ihn gemeinsam mit Werner Franz, dem 2014 verstorbenen letzten Mitglied der Kabinen-Crew.

Doehner hat sich für das stille Angedenken entschieden. Bis 2016 war er regelmäßig am Grab seiner Eltern in Mexiko-City. Heute würde er sich dem Katastrophen-Jubiläum stellen. "Die Hindenburg ist Teil meiner Biografie." Doehner konzentriert sich jetzt auf ein anderes wichtigeres Jubiläum. "Ich habe in diesem Jahr goldene Hochzeit."

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