Massenprotest gegen Schulreform

Rund 50.000 Lehrer, Schüler und Eltern demonstrierten gegen die Abschaffung der Gymnasien.

Es war eine der tränenreichsten Demonstrationen in Polen – Eltern weinten um ihre Kinder, Lehrer um ihren Arbeitsplatz und zusammen machten sie 50.000 Personen aus, die gegen die geplante Schulpolitik in Warschau auf die Straße gingen. "Nein zum Chaos in der Schule" so der Leitspruch der Lehrergewerkschaft ZNP gegen die Abschaffung der 6500 polnischen Gymnasien, wo 101.000 Lehrer arbeiten.

Damit würde, so die Kritiker, eines der größten Erfolgsprojekte des Landes gefährdet. Denn polnische Schulen stehen nach Angaben der OSZE mittlerweile auf dem fünften Platz in Europa, beim letzten PISA-Test mischten die Eleven aus Polen ganz oben mit.

In Polen gilt seit 17 Jahren ein Schulsystem, dass aus einer sechsjährigen Grundschule besteht, einem dreijährigen Gymnasium, das für alle verbindlich ist, sowie dem Lyzeum, das nach drei Jahren zum Abitur führt.

Engpass befürchtet

Nach Auflösung der Gymnasien soll die Grundschule acht, das Lyzeum vier Jahre dauern; die einschneidende Reform soll nächsten September in Kraft treten. Besonders befürchtet wird ein Engpass. In drei Jahren treffen zwei Jahrgänge, die Abgänger der verlängerten Grundschule, und der letzte der noch bestehenden Gymnasien auf die Lyzeen – die theoretisch doppelt soviel Kapazität haben müssten. Somit werden viele begabte Schüler auf die Berufsschule gezwungen.

Dies trieb Eltern und Lehrer bei strömenden Regen auf die Barrikaden. Lehrer der Gymnasien befürchten durch die Reform auf der Straße zu landen, einen Beamtenstatus gibt es für sie nicht. Erziehungsministerin Anna Zalewska versuchte angesichts der Massen, die Gemüter zu beruhigen – "es ist alles durchdacht". Das Reformpaket "Gute Schule" wurde offiziell angestrebt, da es auf polnischen Gymnasien zu viel Gewalt und Drogen gebe.

Die seit einem Jahr regierende Partei "Recht und Gerechtigkeit" (PiS) krempelt den Staat kräftig um. Mit der Veränderung kehrt Polen zum alten System aus den Zeiten des Sozialismus zurück.

"Früher war es besser"

"Früher war es doch besser" unter diesem Motto werde die Reform vielen älteren Polen vermittelt, so Miroslaw Handke in einem Interview. Der ehemalige Bildungsminister, der die Reform 1999 einführte, sieht vor allem die Chancengleichheit für Schüler auf dem Land gefährdet. Damals wurde das System gerade wegen des Niveauunterschieds zwischen Stadt und Land eingeführt, um Polen auch im Ausland höhere Chancen zu vermitteln, wo sie oft als wenig gebildete Erntehelfer gesehen werden.

Die Protestierenden schrieben einen offenen Brief an den Präsidenten. Da jedoch viele Oppositionspolitiker bei der Demonstration anwesend waren, sehen PiS-Politiker den Protest als politische Manifestation gegen die Regierung. Laut Umfragen sind 48 Prozent der Polen gegen die Reform, die auch eine Verminderung des naturwissenschaftlichen Unterrichts und eine Erweiterung von polnischer Geschichte und Patriotismus vorsieht.

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