Jemen: Keine Spur zu entführtem Wiener

Jemen: Keine Spur zu entführtem Wiener
Ein Österreicher und zwei Finnen wurden verschleppt. El Kaida als Drahtzieher vermutet

Die jemenitische Hauptstadt Sanaa ist völlig abgeriegelt. Wer hinein- oder hinausfahren will, wird von Sicherheitskräften gefilzt. Deshalb suchen die Beamten vor allem an den Checkpoints nach den drei Ausländern, die am Freitag entführt worden sind.

Wie der KURIER berichtete, sind ein 26-jähriger Wiener und ein finnisches Ehepaar am Nachmittag von bewaffneten Männern verschleppt worden. Quellen vor Ort mutmaßen, dass die Terrorgruppe El Kaida dahinterstecken könnte. Der Nachrichtenagentur AFP sagte ein Beamter, dass sich die Geiseln noch in der Hauptstadt befinden dürften.

Der Österreicher und der Finne dürften an einem Sprachinstitut Arabisch lernen. Letzterer erhielt Besuch von seiner Frau. Das Trio befand sich Freitagnachmittag auf dem belebten Tahrir-Platz in einem Elektrogeschäft, als vier maskierte Männer mit einem Wagen vorfuhren, die Ausländer mit angehaltenen Waffen in den Pkw zerrte und davonfuhren.

Keine Forderung

Im österreichischen Außenministerium fanden am Freitag und Samstag Krisensitzungen statt. Es gibt „nach wie vor keine Informationen zum Hintergrund“ der Entführung, erklärte ein Sprecher. Weder bekannte sich jemand dazu, noch liegt eine (Lösegeld-)Forderung vor, berichteten regionale Zeitungen. Um die laufenden Bemühungen um die Geiseln und diese selbst nicht zu gefährden, blieb man im Außenamt wortkarg. Der zuständige Botschafter, der von Saudi-Arabien aus den Jemen mitbetreut, unterbrach am Samstag seinen Heimaturlaub und kehrte an seine Dienststelle zurück.

Entführungen sind in dem politisch instabilen Land, das auch als Armenhaus der arabischen Halbinsel gilt (siehe Bericht unten), keine Seltenheit. Dieser Fall ist aber anders gelagert: Mitten in der Hauptstadt drei Touristen zu verschleppen, erklärt eine Journalistin der Yemen Times dem KURIER, sei nicht die Handschrift von Stammesführern, die in der Vergangenheit immer wieder entführte Touristen als Faustpfand gegen die Behörden einsetzten. In solchen Fällen, wie auch in jenem der im Dezember 2005 gekidnappten Österreicher, werden die Geisel zumeist wieder freigelassen. Ein Architekt sowie eine Studentin waren damals in der nordost-jemenitischen Provinz Marib in die Hände von Geiselnehmern gefallen. Drei Tage später ließen sie sie laufen.

Ultimatum

Diesmal könnten die Drahtzieher der El Kaida angehören. Vor elf Tagen berichteten Medien, die Terrorgruppe habe den Behörden ein Ultimatum gesetzt: Sollten die Behörden inhaftierte Mitglieder nicht freilassen, dann würden Ausländer verschleppt werden.

Die Wirren und Unruhen des Arabischen Frühlings haben auch den Jemen erfasst. Vor knapp einem Jahr musste Dauer-Diktator Saleh nach Massenprotesten zwar abdanken. Doch das 24-Millionen-Einwohner-Land im Süden der Arabischen Halbinsel findet weiter keine Ruhe. Schiitische Rebellen kämpfen für eine Beteiligung an der Macht, separatistische Milizen im Süden des Landes für eine Abspaltung. Und eine bedrohlich stark gewordene El Kaida sorgt mit Attentaten und Entführungen für Instabilität. Übergangspräsident Abd Rabbo Mansur Hadi konnte sich zwar die massive militärische Unterstützung der USA sichern, doch die größten sozialen Probleme des Jemen – Armut, Hunger und Wasserknappheit – blieben vernachlässigt. Jemen, dem ärmsten Land auf der Arabischen Halbinsel, geht das Wasser aus, auch die Öl- und Gasvorkommen gehen zur Neige. Bereits ein Sechstel der Einwohner hat nicht mehr genug zu essen. Bald, so warnen Experten, könnte es bereits jeder Zweite sein.

Entführungen sind im Jemen keine Seltenheit, die Sicherheitslage im 24-Millionen-Einwohnerland ist extrem brüchig. In den vergangenen 15 Jahren wurden laut Nachrichtenagentur AFP mehr als 200 Menschen entführt, meist von mächtigen Stämmen, die damit politische Forderungen an die Behörden durchsetzen wollten. Das Land im Süden der Arabischen Halbinsel gilt als Armenhaus Arabiens.

Nach monatelangen Kämpfen zwischen Anhängern und Gegnern des inzwischen entmachteten langjährigen Präsidenten Ali Abdullah Saleh ist die Lage in dem Land, das rund sechs Mal so groß ist wie Österreich, relativ unsicher.

Republik Jemen

Die Republik Jemen ging 1990 aus dem Nordjemen und der Demokratischen Volksrepublik Südjemen hervor. Im Südjemen war 1967 nach fast 130 Jahren die britische Präsenz beendet worden. Aber auch nach der Vereinigung bleibt das Land politisch gespalten. Der Süden fühlt sich von der Zentralregierung benachteiligt. Eine Separatistenbewegung kämpft seit Jahren für die Abspaltung. Hinzu kommt der teils politisch, teils religiös motivierte Aufstand schiitischer Houthi-Rebellen im Norden des Landes, der seit 2004 mehrfach zum Bürgerkrieg eskalierte.

Extremisten mit Verbindungen zur radikal-islamischen Al-Kaida kontrollieren ganze Landstriche und haben sich zu mehreren Anschlägen auf jemenitische Soldaten sowie ein US-Sicherheitsteam in der Region bekannt. Das Terrornetzwerk Al-Kaida nutzt vor allem das von Bergen und Wüsten geprägte Land als Rückzugsgebiet mit Ausbildungslagern. Islamisten aus dem Jemen und Saudi-Arabien gründeten 2008 zudem die "Al-Kaida auf der Arabischen Halbinsel" (AQAP), die zwischenzeitlich erhebliche Gebiete des 530.000 Quadratkilometer großen Landes eroberte.

27. Februar 1998
Nach fast zwei Wochen in der Gewalt von Geiselnehmern im westafrikanischen Sierra Leone kommen fünf europäische Missionare, unter ihnen der Vorarlberger Arzt Andreas Erhard (36), wieder frei. Die Entwicklungshelfer des Ordens der Barmherzigen Brüder waren am 14. Februar aus ihrem Spital in Lusar verschleppt worden. Die Entführung ereignete sich zwei Tage nach dem Sturz der Militärjunta.

23. April 2001
Eine Geiselnahme pro-tschetschenischer Rebellen in einem Istanbuler Luxushotel geht noch am gleichen Tag ohne Blutvergießen zu Ende. Die bewaffneten Kidnapper lassen die 120 Menschen in ihrer Gewalt - unter ihnen auch bis zu acht Österreicher - nach fast zwölf Stunden frei und ergeben sich der Polizei.

13. Mai 2003
Alle zehn in der algerischen Sahara entführten Österreicher werden nach fast zwei Monaten aus der Hand ihrer Geiselnehmer - der Salafisten-Gruppe für Predigt und Kampf (GSPC) - befreit und kehren nach Österreich zurück. Gemeinsam mit den acht Salzburgern und zwei Tirolern kommen sechs Deutsche und ein Schwede frei. Damit befinden sich noch 15 der ursprünglich insgesamt 32 entführten Europäer in der Gewalt von Geiselnehmern. Bei ihnen handelt es sich um zehn weitere Deutsche, vier Schweizer und einen Niederländer. Sie kommen Mitte August 2003 frei, eine deutsche Geisel überlebt die Strapazen nicht.

13. Juli 2005
Ein im Gaza-Streifen entführter Österreicher und ein Brite werden nach wenigen Stunden wieder freigelassen. Der Steirer Volker Mitterhammer, der für eine Tiroler Firma als Ingenieur für Wasseraufbereitungsanlagen arbeitet, war gemeinsam mit seinem britischen Kollegen von zwei Personen in ein Auto gezerrt und in das Flüchtlingslage Al Bureij gebracht worden. Beide Männer werden freigelassen, nachdem hohe palästinensische Offizielle einschreiten.

24. Dezember 2005
Während einer ganzen Serie von Einführungen von Ausländern im Jemen geraten auch die beiden österreichischen Architekten Barbara Meisterhofer (31) und Peter Schurz (52) in die Hände von Geiselnehmern. Nach wenigen Tagen kommen sie nach Verhandlungen zwischen Stammesführern und der Zentralregierung in Sanaa am 24. Dezember unversehrt wieder frei.

4. April 2006
Die Leichen der seit Jänner 2006 vermissten österreichischen Touristen Peter Kirsten Rabitsch (28) und Katharina Koller (25) werden in der bolivianischen Hauptstadt La Paz gefunden. Sie waren von Kriminellen entführt, ausgeraubt und ermordet worden. Das auf Weltreise befindliche Wiener Paar war von der bolivianischen Stadt Copacabana am Titicacaca-See kommend, am 26. Jänner in La Paz verschwunden. Im August 2006 werden die mutmaßlichen Mörder gefasst und ein Jahr später zu langjährigen Haftstrafen verurteilt.

16. November 2006
Der 25-jährige Oberösterreicher Bert Nussbaumer wird gemeinsam mit vier US-Bürgern und neun ortsansässigen Mitarbeitern der US-Sicherheitsfirma Crescent Security im Irak entführt. Nach ersten Video-Botschaften, die die Entführer den Behörden bzw. Medien zuspielen, gab es monatelang kein Lebenszeichen der Geiseln mehr. Im März 2008 werden mehrere Leichen im Irak gefunden. Eine davon wird in den USA als Bert Nussbaumer identifiziert.

Februar 2008
Zwei Touristen aus Österreich - die Halleiner Wolfgang Ebner (51) und Andrea Kloiber (43) - werden im tunesisch-algerischen Grenzgebiet gekidnappt und in den Norden Malis verschleppt. Die beiden Österreicher befinden sich 252 Tage lang in Geiselhaft des nordafrikanischen Zweigs des internationalen Terrornetzwerks Al-Kaida "Al-Kaida im islamischen Maghreb" (AQMI). Nach langen Verhandlungen gibt das Außenministerium in Wien Ende Oktober ihre Freilassung bekannt.

Jänner 2012
Bei einem Überfall auf europäische Touristen im Nordosten Äthiopiens werden fünf Menschen getötet. Bei einem Opfer handelt es sich um einen Österreicher. Bei den Tätern soll es sich der Landesregierung zufolge um von der eritreischen Regierung ausgebildete Banditen gehandelt haben. Eritreische Diplomaten weisen diese Vorwürfe zurück.

21. Dezember 2012
Ein 26-Jähriger, der vermutlich einen Sprachkurs im Jemen gemacht hat, wird in der Hauptstadt Sanaa - gemeinsam mit einem finnischen Paar - entführt. Sie wurden laut Medienangaben von vier bewaffneten Männern in ein Auto gezerrt und verschleppt.

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