Barbaren vernichten Weltkulturerbe

Palmyra: Welterbe eines Schmelztiegels der Kulturen
Die Terrororganisation "Islamischer Staat" setzt ihr Zerstörungswerk in Palmyra fort. KURIER-Redakteur Werner Rosenberger hat die antike Stadt vor Jahren besucht.

Einfach ausradiert. Von der kulturellen Landkarte eliminiert hat die Dschihadistenmiliz Islamischer Staat (IS) einen bedeutenden Tempel im von ihr besetzten antiken Palmyra in Syrien. Erst vor wenigen Tagen hatte der IS Khaled Asaad, den langjährigen Chefarchäologen der Oasenstadt, auf grausame Weise ermordet.

Der nun von den Islamisten in die Luft gesprengte Tempel von Baal Shamin gehört zum Welterbe eines Schmelztiegels der Kulturen. Die Unesco hat die Zerstörung des Tempels als Kriegsverbrechen angeprangert. „Die Täter müssen für ihre Aktionen zur Rechenschaft gezogen werden“, sagte die Chefin der Kulturorganisation der Vereinten Nationen, Irina Bokowa, am Montag.

Hochkulturen

Barbaren vernichten Weltkulturerbe

Der kulturelle Reichtum Syriens hängt mit seiner geografischen Lage zusammen. Vier Jahrtausende lang, von den frühen Hochkulturen im Zweistromland bis zum Siegeszug des Islam, kreuzten sich hier die Einflussbereiche der Sumerer, Babylonier, Ägypter, Assyrer, Hethiter, Perser, Griechen und Römer.

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Perle der Wüste

Schon 272 n. Chr. ließ Kaiser Aurelian die aufmüpfige Stadt Palmyra schleifen. Die Bewohner hatten sich zum zweiten Mal gegen die römische Besatzung erhoben. Aber der märchenhafte Ruhm der Stätte 240 Kilometer nordöstlich von Damaskus ging auch im Mittelalter nie ganz verloren, bis sie englische Reisende im 18.Jahrhundert wiederentdeckten – die Prachtstraße mit ihren korinthischen Säulen, der Triumphbogen der Severer und die Umfassungsmauer des Baal-Tempels ...

Es war einmal ...

Barbaren vernichten Weltkulturerbe
Tourists walk in the historical city of Palmyra, September 30, 2010. Islamic State fighters in Syria have entered the ancient ruins of Palmyra after taking complete control of the central city, but there are no reports so far of any destruction of antiquities, a group monitoring the war said on May 21, 2015. Picture taken September 30, 2010. REUTERS/Nour Fourat

Vor 25 Jahren bei meinem Besuch in Palmyra, der "Königin der Wüste", der "Stadt der tausend Säulen", wie sie gern genannt wird, war die Welt noch in Ordnung.

Unvergesslich der Sonnenaufgang über den steinernen Denkmälern aus der Vergangenheit. Mit Blick auf die arabische Zitadelle Qal’at ibn Ma’n im Hintergrund. Wir durchstreiften den Torbogen zu Ehren Hadrians, die Säulenallee mit dem Tetrapylon, die Agora, die steinernen Bänke der Boulé, der Ratsversammlung, und die Reste der Thermen wie Flaneure.

Übrigens: Eine der ersten neuzeitlichen Darstellungen von Palmyra war ein Stich des Barockbaumeisters Fischer von Erlach aus dem Jahr 1721.

Es mag viel Schlimmeres geben als den Verlust von Mauern und Statuen, etwa das Leid, das der Krieg über zahllose Menschen gebracht hat. Aber es machen auch die sinnlose Gewalt und Zerstörung unendlich traurig. Wenn nichts mehr bleibt als die Sehnsucht nach dem Zauber der Orte, an denen Geschichte geschah. Wenn deren Aura von Barbaren mit Dynamit weggeblasen wird. Und sie keine Rekonstruktion je wieder zurückbringen wird.

Karawanen waren einst von hier in Syrien bis zur Seidenstraße gezogen. Sie holten Gewürze, Düfte, Edelsteine und andere Schätze aus dem Fernen Osten und brachten sie zur Mittelmeerküste. Dort wurden sie auf Handelsschiffe verladen, die auch den Händlern aus der Wüstenstadt gehörten.

Stadt des Orients

Palmyra lag zwischen den verfeindeten Reichen der Römer und der Parther – und machte sogar in Kriegszeiten mit beiden Parteien Geschäfte. Ein politisch einträglicher Handel: Palmyra blieb eine unabhängige Freihandelszone, als Syrien 64 v. Chr. römische Kolonie wurde. Und eine Stadt des Orients – Tadmur heißt sie bis heute bei den Arabern.

Anfang des ersten Jahrhunderts nach Christus baute Palmyra einen Tempel im römischen Stil für den höchsten mesopotamischen Gott: Baal oder Bel. Rom soll den Bau bezahlt haben, um die Karawanenstadt für den Beitritt ins Römische Reich zu belohnen. Ein Bau der Superlative war der Baal-Tempel, 200 mal 200 Meter groß. Eine Stadt in der Stadt.

Baal-Tempel

Die Römer setzten Baal als Obersten der Götter Palmyras mit Zeus oder Jupiter gleich. Aber im Gegensatz zu seinen eher menschlichen Kollegen vom Olymp war Baal eine kosmische Macht. Sein Tempel war das einzige Gebäude in Palmyra, das exakt nach den Himmelsrichtungen ausgerichtet wurde. Zu Ehren von Baal Schamin, dem Gott des Windes.

Das Gebäude sei jetzt in großen Teilen zerstört, bestätigte der Direktor der syrischen Antikensammlungen, Maamun Abdulkarim, am Wochenende. Bei der Explosion sei die sogenannte Cella des Tempels, ihr innerster heiliger Bereich, zerstört worden. Die umgebenden Säulen seien eingestürzt. Abdulkarim: "Es erfüllen sich unsere schlimmsten Befürchtungen."

Ein Bürgerkrieg ist immer auch eine kulturelle Katastrophe. Im Fall von Syrien trifft sie ein Land, dessen große Bedeutung für die Kulturgeschichte der Menschheit überhaupt erst vor ein paar Jahrzehnten erkannt wurde.

Und in Syrien sind auch die Wurzeln der europäischen Kultur von der Zerstörungswut des IS betroffen, dessen Terror-Miliz rücksichtslos antike, byzantinische und mittelalterliche Stätten beschießt, Museen plündert und Kunstwerke verscherbelt.

Aber die Identität steckt in den Steinen. "Wer die Heimstätten der Religion und der Ahnen schändet, der zerstört die Symbole und Träger eines gemeinsamen kulturellen Bewusstseins, der will Länder und Völker ihrer Identität berauben. Das wissen wir, das wissen aber auch die Feinde der Kultur", schrieb der ehemalige deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.

Mit Mossul, Nimrud, Ninive und Hatra hat der "Islamische Staat" bereits viele sichtbare Zeugnisse dieser Identität zerstört. Und der IS, der die geschichtlichen Wurzeln seiner Religion nur allzu gern aus der Welt schaffen möchte, wird wohl – so ist zu befürchten – auch nach Palmyra sein Zerstörungswerk fortsetzen.

Kriegsführung Die Zerstörung ist ein treuer Begleiter der Menschheitsgeschichte. Ob es nun um die Vernichtung von Bildern geht, die aus Sicht des Islam Götzenbilder sind, um die Plünderung antiker Schätze aus purer Profitgier oder um brutale Angriffe auf das vorislamische Kulturerbe einer ganzen Region: Immer geht viel verloren. Unwiederbringlich.

Nach der Vernichtung antiker Bildwerke im Museum von Mossul und an der Grabungsstätte Ninive im Nordirak sprach Markus Hilgert vom Vorderasiatischen Museums in Berlin im Deutschlandfunk von "Zerstörungen, die wirklich ins Herz der Kulturgeschichte treffen". Und forderte, man müsse ärmeren Ländern helfen, ihre Kulturgüter gegen Angriffe zu schützen. Palmyra ist so interessant, weil sich dort verschiedene kulturelle Einflüsse zu einem eigenen Stil verbunden haben. Weil sich eine neue Architektursprache entwickelt hat. Palmyra gilt als Symbol für Weltoffenheit, multikulturelles Zusammenleben und Vielsprachigkeit.

Die Dschihadisten aber wollen mit der Zerstörung kultureller Monumente und Statuen die Geschichte neu erzählen. Das sei eine Form der Kriegsführung, so Hilgert. Es handle sich nicht nur um materielle Kulturgüter, sondern Kultur als wesentliches Element des menschlichen Zusammenlebens. Es gehe um die Auslöschung von Identitäten und menschlicher Lebensleistung.

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