Hiroshima: Sekunden, die die Welt veränderten

Nach sechs Sekunden waren 70.000 Menschen tot.
Vor 70 Jahren wurden in Japan die einzigen zwei Atombomben der Geschichte abgeworfen, geblieben ist ein gewaltiges Wettrüsten und die Angst.

Am 6. August 1945 wurde die Erste von zwei Atombomben der Geschichte eingesetzt. Nach sechs Sekunden waren 70.000 Menschen tot und die japanische Stadt Hiroshima ausgelöscht. Nach 70 Jahren ist man sich aber noch immer nicht einig, ob die Bombe friedensstiftend war – die einzige Möglichkeit, den Zweiten Weltkrieg zu beenden, wie es die USA bis heute sagen. Oder ob dieser Abwurf unverhältnismäßig und einer der größtmöglichen Gewaltakte war, die es in der Kriegsgeschichte je gab. Unbestritten ist das historische Paradoxon, dass, als es nur zwei Bomben auf der Welt gab, beide abgeworfen wurden. Jedoch seit dem 9. August, dem Tag der zweiten Atombombe auf Nagasaki, zwar 15.850 Atomwaffen gebaut wurden, aber keine mehr in einem Krieg eingesetzt wurde.

Säbelrasseln

USA-Experte und Politologe Reinhard Heinisch sieht darin eine Art Säbelrasseln, das auch künftig weiterbestehen wird: Vor allem Mittelmächte sehen heute in Atomwaffen einen Schutz davor, von Supermächten nicht angegriffen zu werden. Hätte Saddam Hussein Atomwaffen gehabt, hätten die USA es sich wohl anders überlegt. Daher streben mittelgroße Mächte in Konfliktregionen nach Atomwaffen. „Im Nahen Osten könnte es zu einem Wettrennen um eine nukleare Bewaffnung kommen, an dem besonders Saudi-Arabien, Iran und die Türkei beteiligt sind.“ Besonders heikel ist die Lage zwischen Pakistan und Indien, die beide inoffiziell im Besitz von Atomwaffen sind und die Kontrolle darüber ist vor allem in Pakistan in unsicheren Händen – sie traten dem Atomwaffensperrvertrag nicht bei. Das zweite Krisen-Szenario ortet er in Ostasien: „Nordkorea verfolgt eine nukleare Politik, dazu kommt der Aufstieg der Atommacht China und selbst die bisher pazifistischen Japaner überlegen, ihre Armee stark aufzurüsten.“ Zuletzt ließ Wladimir Putin aufhorchen, der die atomare Schlagkraft modernisieren und sogar ausbauen will. "Das führt in den USA zu einer Diskussion, inwieweit können wir es uns erlauben abzurüsten – und damit Schwäche zu zeigen." Heinisch sieht Obama stark unter Druck, 2009 visionierte er noch von einer atomwaffenfreien Welt. Bis heute ist nichts geschehen, das teure und absurde Säbelrasseln hält an. Und ist gefährlich, wenn die Waffen in falsche Hände geraten. Stichwort IS.

Aufarbeitung fehlt

Dass seit 70 Jahren selbst in hochbrisanten Konflikten wie dem Vietnamkrieg der Einsatz von Atomwaffen ein Tabu blieb, liegt an der Erschütterung im August 1945. Und dass auf beiden Seiten – USA wie Japan – eine sorgfältige gemeinsame Aufarbeitung fehlt. "Es ist problematisch, dass sich Japan nur als Opfer wahrnimmt", sagt Heinisch. Dass der Premierminister Shinzo Abe in den Yasukuni-Schrein geht und jene Offiziere huldigt, die als Kriegsverbrecher im Pazifikkrieg verurteilt wurden, verstört China und Südkorea."

Lange wurden auch die verstümmelten Überlebenden von Hiroshima und Nagasaki, bekannt als "Hibakusha", stigmatisiert – sie galten als Zeichen der Zerstörung und Niederlage. Sie erhielten erst 1968 kostenlose ärztliche Behandlungen.

In den USA hat die Bombe indessen eine ganz andere Bedeutung, erklärt Heinisch: "Im Krieg gegen Japan hatten die US-Streitkräfte bereits viele Soldaten verloren. Präsident Truman stand unter Druck, er war nicht der Kriegsheld wie Roosevelt. Nun gab es eine Waffe, die den Krieg mit Japan mit aller Wahrscheinlichkeit beenden würde und in Summe weniger Opfer verursacht als Flächen-Bombardements. In der Situation war es das Kleinere von allen Übeln – so stellen es die Amerikaner dar, auch von offizieller Stelle." Die Atombombe sehen auch Veteranenverbände gerne als Friedensstifter. Vor zwei Jahrzehnten verhinderten sie eine Sonderausstellung, die sich mit dem Leid der japanischen Opfer befasste. Zum aktuellen Jahrestag gibt es erstmals eine Schau. Dennoch stehen laut Umfragen noch heute 56 Prozent der Amerikaner zum Einsatz der Atombombe.

"Test am lebenden Objekt"

Kritiker bezeichnen ihn als "Test am lebenden Objekt". Zum Beispiel der Journalist Klaus Scherer. In seinem Buch "Nagasaki" vertritt er die These, dass die USA vor allem ihre in Los Alamos teuer entwickelten Uran- und Plutoniumbomben testen wollten. Weshalb es laut ihm auch überhaupt zum zweiten Abwurf kam – die Überlegenheit wäre ja schon nach Hiroshima demonstriert worden. Es sei darum gegangen, zu sehen, welche der Bomben zukunftsfähig ist. "Es war die Versuchung, den Krieg allein zu entscheiden – ohne Russland. Der Kalte Krieg fing schon an, es gab sicher die Überlegung: Russland hat die Truppen-Überlegenheit, wir haben die Wunderwaffe." Dieses anfängliche Wettrüsten zwischen USA und Sowjetunion sollte sich noch intensivieren: "Beide Akteure wussten, dass bei einem Angriff der einen Macht die andere zurückschlagen würde und sie beide keine Chance mehr haben."

Angesichts der globalen atomaren Lage ist die späte Warnung des einstigen "Vaters der Atombombe", Julius Robert Oppenheimer, aktueller denn je: "Wenn Atombomben als neue Waffen in die Arsenale einer kriegsführenden Welt oder in die Arsenale von Ländern, die sich auf einen Krieg vorbereiten, aufgenommen werden, dann wird die Zeit kommen, dass die Menschheit die Namen Los Alamos und Hiroshima verflucht."

Hiroshima: Sekunden, die die Welt veränderten

USA: ca. 7300 Sprengköpfe; davon 2100 einsatzbereit
Russland: ca. 8000 Sprengköpfe; davon 1600 einsatzbereit
Frankreich: ca. 300 Sprengköpfe; davon 290 einsatzbereit
Großbritannien: ca. 250 Sprengköpfe; davon 160 einsatzbereit
China: ca. 250 Sprengköpfe. Keine Angaben über Einsatzbereitschaft
Pakistan: ca. 110 Sprengköpfe
Indien: ca. 100 Sprengköpfe
Israel: Geschätzte 80 Sprengköpfe
Nordkorea: Ausgegangen wird von 6 bis 8 Sprengköpfen

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