"Gefesselter Riese" Helmut Kohl wird 85

Heute hat der Alt-Kanzler Geburtstag - Feier gibt es keine.

Im Rollstuhl sitzt aufrecht und steif, mit starrem Gesicht und schlaffem Arm, der körperlich immer noch große alte Mann. Nur seine schmalen Augen gehen rasch hin und her. Intensiv umhegt wird er von seiner viel jüngeren Frau. Wenn er redet, was er selten tut, interpretiert sie die Worte, weil man sie sonst kaum versteht. Meist aber spricht sie gleich statt ihm. Im "wir".

So verlaufen die immer selteneren öffentlichen Auftritte Helmut Kohls. Auch der letzte im vergangenen Dezember mit ihm als Geehrter eines feinen Kreises zum 25. Jahrestag des Mauerfalls in Dresden. Des Mannes, der ein Vierteljahrhundert lang CDU-Chef war und von 1982 bis 1998 und auch damit länger als jeder andere als Kanzler Deutschland regierte – mit dem historischen Kunststück der Wiedervereinigung.

Er hat heute Züge einer tragischen Figur. Körperlich, weil er nach einem Treppensturz vor acht Jahren mit Schädel-Hirntrauma im Rollstuhl sitzt und fast sprechunfähig ist. Menschlich, weil sein einst pralles Leben zu Vereinsamung tendiert. Und politisch, weil sein Vermächtnis des dauerhaften Friedens in Europa plötzlich von der Eurokrise und den nationalen Emotionen ihrer vermeintlichen Verlierer wieder gefährdet scheint.

Kohl-Adorantin

Kohls vordergründig trauriges Bild liegt nicht nur am Gebrechen: Auch seine zweite Frau Maike Kohl-Richter hat daran Anteil. Die seit ihrer Jugend bekennende Kohl-Bewunderin, die es erst zur Mitarbeiterin und dann zu seiner Frau schaffte, widmet ihr Leben ganz ihm: Sie hat vom Schwerbehinderten total Besitz ergriffen, sie schirmt ihn ab. Wer nur irgendwie kritisch sein könnte, dringt nicht durch zu ihm. Freunde erklären ihre strikte Kontrolle damit, dass sie die Interpretation von Kohls historischer Rolle niemand anderem überlassen will. Die sehe sie als ihre Lebensaufgabe an.

Zerwürfnisse

Kohls nach langen Jahren entlassener Fahrer gibt ihr so die Schuld an dessen Isolation wie die zwei sich ihm schon früh entfremdeten Söhne. Auch die wenigen vom Ex-Kanzler gelittenen Journalisten, wie der als Ghostwriter seiner Biografie angeheuerte Heribert Schwan. Er sieht in der Ehefrau die Verantwortliche für sein Zerwürfnis mit Kohl.

Deshalb veröffentlichte Schwan seine langen, vertraulichen Gespräche mit Kohl gegen die Vereinbarung mit ihm unzensuriert und bewusst mit den brisantesten Äußerungen. Was Kohls Nimbus wieder beschädigte: Die Ostdeutsche Merkel, die ihn nach dem Eklat um die bis heute ungenannten Millionenspender final aus der CDU-Spitze drängte, habe 1990 "nicht mit Messer und Gabel essen können".

Dieses Urteil Kohls bezog sich wohl nur auf die Politik-unerfahrene Physikerin und war so aber auch eines der vielen messerscharfen, erbarmungslosen über Getreue und Gegner. Viel mehr aber noch zeugen die von Zähigkeit, Detailversessenheit und Schlauheit des eminenten Machtmenschen. Aber auch von einem Langfristdenken wie bei kaum einem Politiker dieser Generation, gepaart mit Mut.

Kritisierte Euro-Politik

17 Jahre nach Kohls Kanzlerschaft wird nun immer öfter von Wirtschaft und Historikern hinterfragt, ob die finale Vertiefung der EU den hohen Preis rechtfertigte, der Kohls Tausch der starken D-Mark gegen den nun von EU-Politik und EZB ausgehöhlten Euro war. Gegen diese Zweifel kämpft Kohl weiter an und schrie es im Vorjahr in einem seiner Frau diktierten Buch heraus: Als letzter Kanzler, der die Schrecken des Krieges erlebte, beschwört er die nächsten Generationen zum Zahlen jeden Preises für den Frieden, auch von diesem.

Späte Milde

Kohls in Deutschland immer noch getrübtes Bild liegt auch an den vielen ihn überkritisch sehenden Medien. Zum 85. Geburtstag kommt aber auch zu Hause neue Milde, Einsicht und sogar Reue für alte Hasstiraden auf.

Kanzlerin Merkel, deren Regierungsstil mit ihrer Europa-Treue und viel Pragmatik immer mehr dem von Kohl ähnelt, geht auch da voran. Sie gratulierte vorerst über Bild: "Er hat das wiedervereinigte Deutschland eingebettet in das vereinte Europa und fest an die Seite der USA gestellt. Es verdankt ihm viel."

Weil Kohls Frau keine öffentliche Feier will, wird nun die letzte häufig zitiert. Da beschrieb Österreichs Altkanzler Wolfgang Schüssel in seiner Dresdner Festrede Größe und Tragik des alten Mannes im Rollstuhl kongenial: "Ein gefesselter Riese."

Nett sind nicht alle Tweets, doch was sich liebt, das neckt sich mitunter auch: Der deutsche Ex-Kanzler Helmut Kohl wird 85, er feiert rein privat. Doch die Menschen wollen offenbar teilhaben - wenn auch nur im Netz. Auf Twitter wurde Kohl zum Ehrentag ein Hashtag geschenkt: Unter #Kohlfilme amüsieren sich die User über die markantesten Merkmale des Kanzlers der Einheit und dichten berühmte Filmtitel um.

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