Ein Haus der Erinnerung für Vukovar

In der kroatischen Stadt Vukovar sind die Spuren des Kriegs noch immer sichtbar.
Im Osten Kroatiens leben Angehörige der deutschen Minderheit, ihre Wurzeln mussten sie lange geheim halten. In einem Haus in Vukovar soll nun die Geschichte ihrer Vorfahren erzählt werden.

Dara Mayer dreht das Autoradio lauter. Die Frau mit den kurzen, blonden Haaren und der markanten roten Brille singt mit Helene Fischer um die Wette. Ein Plastik-Blumenkranz in den deutschen Nationalfarben Schwarz-Rot-Gold hängt am Rückspiegel und schaukelt wie im Takt hin und her, wenn sie in dem kleinen Fiat über die schmale Straße fährt. Ziel: das zukünftige Vereinsheim am Schwabenberg, etwas außerhalb der kroatischen Stadt Vukovar. Mayer ist hier Vorsitzende des „Vereins der Deutschen und Österreicher“. Ihre Großeltern waren sogenannte „Donauschwaben“ – Handwerker und Bauern aus dem Elsass, der Pfalz und Schwaben, die sich vom 17. bis zum 19. Jahrhundert in der Gegend um Osijek und Vukovar angesiedelt haben.

Ein Haus der Erinnerung für Vukovar
donauschwaben, dara mayer

Vor dem Zweiten Weltkrieg lebten im Land etwa 500.000 Jugoslawiendeutsche. Heute sind davon noch 10.000 übrig. Viele wurden vertrieben oder ermordet. „Ab dem Krieg und unter Tito war es nicht gut, Deutsche zu sein. Meine Mutter hat damals einen Serben geheiratet – so hat sie sich versteckt.“ Mayers Großeltern wurden in ein Lager nahe Vukovar interniert und erschossen. Sie behielt die Herkunft ihrer Eltern für sich. Kein deutsches Wort kam ihr in der Öffentlichkeit über die Lippen. Nur ihrer Schulfreundin Henrietta vertraute sie sich an: „Wir waren neun Jahre alt und sprachen heimlich Deutsch miteinander, das durfte niemand wissen.“

Ein Haus der Erinnerung für Vukovar
donauschwaben

Die Pensionistin parkt ihr Auto vor einem brachliegenden Stück Land. Pompöse Neubauten reihen sich neben zerschossene Ruinen – dazwischen steht auf einem kleinen Grundstück das Fundament für das zukünftige Haus des Vereins. Es soll die Geschichte der Donauschwaben erzählen, Begegnungszentrum sein und Touristen anziehen, die zwar oft per Schiff nach Vukovar kommen, aber nur um sofort nach Osijek und in das Naturschutzgebiet Kopački rit weiterzufahren. Dass sie heute in dem Café am Ufer der Donau mit dem Kellner Deutsch spricht und Touristen den Schwabenberg zeigt, wäre vor 30 Jahren undenkbar gewesen. Erst 1991 bekannte sie sich bei einer Einwohnerzählung offiziell zu ihren Wurzeln. Sie ließ sich bei den Behörden als Deutsche deklarieren.

Ein Haus der Erinnerung für Vukovar
donauschwaben, dara mayer vor dem rohbau des geplanten vereinsheim für vukovar

„Ich hatte damals das Gefühl, ich muss es jetzt tun. Ich gehöre zu einem anderen Volk.“ Kurz überlegt sie und setzt fort: „Vielleicht war es auch eine Trotzreaktion, nach all den Jahren.“ Kurze Zeit nach ihrem Bekenntnis waren sie auf der Flucht. Damals, als die jugoslawische Volksarmee und serbische Freischärler die Stadt Vukovar im heutigen Kroatien mit schwerem Kriegsgeschütz durchlöcherten, rannte sie mit ihrem Mann und den drei Kindern um ihr Leben, flüchtete nach Deutschland. Dort verdingte sich die gelernte Bankangestellte als Köchin und Altenpflegerin, ihr Mann, ein diplomierter Forstwirt, als Hilfsarbeiter in einer Autozulieferfabrik. Nach sechs Jahren mussten sie zurück nach Vukovar. Ihr Antrag, als Spätaussiedler Bleiberecht und eine Staatsbürgerschaft zu bekommen, wurde abgelehnt – den Behörden fehlte der Nachweis, dass sie die deutsche Sprache und Kultur gepflegt haben. Wenn Mayer darüber spricht, wird ihre Stimme kräftiger, die Wut steigt in ihr auf. „Wie sollten wir das pflegen, wenn wir jahrzehntelang unsere Herkunft verschweigen mussten?“ Zurück in der ausgebombten Stadt, beschloss sie, den Verein zu gründen – heuer feierten sie ihr zehnjähriges Bestehen. 26 der 96 Mitglieder haben sich ebenfalls als Deutsche deklarieren lassen.

Wenn sie sich jährlich beim Schwabenball treffen, zieht Dara Mayer ihr rotes Dirndl an und singt im Chor der „Drei Rosen aus Vukovar“ Lieder wie „Heimweh“ von Freddy Quinn. Das verspürt sie übrigens immer ein wenig, wenn sie vom Land ihrer Vorfahren erzählt.

Hinweis: Die Reportage entstand im Rahmen von eurotours 2014 – einem Projekt der Europapartnerschaft, finanziert aus Gemeinschaftsmitteln der Europäischen Union.

Ohne Dach über dem Kopf, barfuß und nackt – so beschreibt Nikolaus Mak die Situation, als er und seine Familie gegen Ende des Zweiten Weltkrieges in ein Lager interniert wurden. Bis zum Novemeber 1944 lebten er und seine Familie, als Angehörige der deutschen Minderheit, ohne Schwierigkeiten in der multi-ethnischen Stadt Osijek.

Als die AVNOJ-Beschlüsse, die 1943 die zukünftige staatliche Organisation Jugoslawiens gewähren sollten, in Kraft traten sollte sich alles ändern. Diese beinhalteten unter anderem die Enteignung aller in Jugoslawien lebenden Personen deutscher Volkszugehörigkeit. Sie verloren automatisch die jugoslawische Staatsbürgerschaft und alle bürgerlichen und staatsbürgerlichen Rechte. "Wir wurden als Deutsche kollektiv für die Straftaten der Nationalsozialisten bestraft", sagt Mak. Er und seine Eltern wurden damals in ein Lager gebracht, dass nur er und seine Mutter überlebten. "Jeder hier wusste, dass wir nichts getan haben, sondern ehrenhafte Menschen waren, die viel arbeiteten. Unserer Vorfahren sind mit Pflug und Harken gekommen - ohne Gewehr und ohne Macht."

Tatsächlich regte sich in Osijek Widerstand gegen den aufkeimenden Nationalsozialismus, vor allem von katholischen jugoslawiendeutschen Vereinigungen. In der Ausgabe vom 22. April 1933 kritisierte etwa die donauschwäbische Zeitung Die Drau die „Machtergreifung“ Hitlers stark. Allerdings gab es auch Angehörige der Donauschwaben, die zur Waffen-SS übertraten. Nikolaus Maks Vater gehörte nicht dazu. Er starb im Lager Valpovo im Frühling 1946. Nach ihrer Freilassung wollte Maks Mutter, so wie viele Donauschwaben, nach Deutschland ziehen. Sie hatte aber Zweifel, erzählt ihr Sohn. "Meine Mutter war damals 45 Jahre alt und sagte zu mir: 'Hier bin ich Taglöhnerin, alle kennen mich und geben mir Arbeit. In Deutschland kann ich auch nur Taglöhnerin sein, aber dort kennt mich niemand."

Ein Haus der Erinnerung für Vukovar
donauschwaben

Nikolaus Mak und seine Mutter sind doch geblieben. Als Angehörige der deutschen Minderheit wurden sie nach 1946 von der kommunistischen Regierung zwar nicht mehr direkt verfolgt, hatten aber keine Rechte einzufordern. Es sollte viele Jahrezehnte dauern, bis sie sich wieder öffentlich und ohne Ängste zu ihrer Herkunft bekennen konnte. Vor mehr als 20 Jahren wurde die"Deutsche Gemeinschaft– Landsmannschaft der Donauschwaben" in Osijek gegründet. Mittlerweile ist sie der größte Verein der Deutschen und Österreicher in Kroatien. Vier Mal im Jahr erscheint diezweisprachige Zeitschrift “Njemačka riječ - Deutsches Wort”. Nikolaus Mak konnte sich als Vertreter der deutschen und österreichischen Minderheit im kroatischen Parlament in der Periode von 2003 bis 2007 für deren Rechte einsetzen.

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