Boston-Marathon: Prozess gegen Tsarnaev beginnt

Im April 2013 starben drei Menschen, 260 wurden verletzt. Der mutmaßliche Attentäter hatte ein Uni-Stipendium.

Fast zwei Jahre nach dem Terroranschlag auf den Marathon in Boston hat heute der Prozess gegen den mutmaßlichen Attentäter Dzhokhar Tsarnaev (Dschochar Zarnajew) begonnen. Tsarnaev erschien in dunkler Jacke und weißem T-Shirt im Gerichtssaal und wirkte etwas nervös. Die Staatsanwaltschaft wirft dem 21-Jährigen vor, am 15. April 2013 mit seinem Bruder Tamerlan auf der Zielgeraden des berühmten Marathons zwei Bomben gezündet zu haben. "Das Ziel war, so viele Menschen wie möglich zu töten", sagte Staatsanwalt William Weinreb im Eröffnungsplädoyer.

Todestrafe möglich

Durch die Explosionen waren drei Zuschauer getötet und 260 verletzt worden. Tsarnaev werden 30 Anklagepunkte vorgeworfen, darunter der Gebrauch einer "Massenvernichtungswaffe". Bei einem Schuldspruch droht ihm die Todesstrafe. Laut Anklageschrift sollen die Brüder den Anschlag gemeinsam geplant und die Bomben aus Schnellkochtöpfen, Schwarzpulver und Splittern zusammengebaut haben. Die Anleitung sollen sie Internetseiten des Terrornetzwerks Al-Kaida entnommen haben.

"Normaler" Teenager

Der Prozess könnte drei bis vier Monate dauern. Die Verteidigung zeichnete in ihrem Eröffnungsplädoyer wie erwartet das Bild eines unsicheren Teenagers, der unter dem Einfluss seines älteren Bruders Tamerlan gestanden habe. Dieser war Anfang 2012 für sechs Monate in den Kaukasus gereist und hatte dort möglicherweise Kontakt zu extremistischen Gruppen. Der 26-Jährige wurde einige Tage nach der Tat auf der Flucht erschossen. Beobachter erhoffen sich vor allem Antwort auf die Frage, wie der völlig normal wirkende US-Teenager Dzhokhar radikalisiert wurde (Porträt: siehe unten).

Als er wenige Tage nach der Tat schwer verletzt in einem trockengelegten Boot kauerte, kritzelte er islamistische Botschaften an die Wand, in denen er die Opfer des Anschlags als "Kollateralschaden" bezeichnete. "Wir Muslime sind ein Körper. Wer einen von uns tötet, verletzt uns alle", schrieb er weiter. Der US-Regierung warf er die Tötung "unschuldiger Zivilisten" im Irak und in Afghanistan vor.

Boston-Marathon: Prozess gegen Tsarnaev beginnt

Dzhokhar Tsarnaev wurde 1993 in der früheren Sowjetrepublik Kirgistan geboren, seine Familie stammt ursprünglich aus Tschetschenien. Später lebten die Tsarnaevs in der russischen Kaukasus-Republik Dagestan, ehe sie 2002 in die USA auswanderten. Seine Jugend verbrachte Dzhokhar Tsarnaev im Bostoner Vorort Cambridge, war Kapitän des Ringer-Teams seiner High School und bekam dank guter Noten ein Universitätsstipendium. Der junge Mann mit dem zerzausten Haarschopf schrieb sich an der University of Massachusetts in Dartmouth für Meeresbiologie ein, 2012 erhielt er die US-Staatsbürgerschaft.

Dzhokhar Tsarnaev war US-Medien zufolge dem Partyleben an der Uni nicht abgeneigt, rauchte manchmal Marihuana und brüstete sich auf Twitter mit seinen Eroberungen. Wie und warum sich der beliebte Teenager radikalisierte, darauf könnte nun der Prozess endlich eine Antwort geben. Eine Rolle spielte womöglich das Auseinanderbrechen seiner Familie: Tsarnaevs Eltern trennten sich lautNew York Timesim Herbst 2011. Zunächst ging der Vater, dann auch die Mutter zurück nach Russland.

Dzhokhar Tsarnaev geriet der Zeitung zufolge zunehmend unter den Einfluss seines älteren Bruders, der sich immer stärker der Religion zuwandte. Der russische Geheimdienst schickte bereits im März 2011 eine Warnung an die US-Bundespolizei FBI, in der Tamerlan Tsarnaev als "Anhänger des radikalen Islam" beschrieben wurde.

Kommentare