Berlins Stadtschloss: Attrappe als Attraktion

Die Rekonstruktion des wichtigsten Schlosses Preußens beginnt nun – mit weiter offenen Fragen.

Seit den Atomkraftwerken hat kein Neubau mehr die Deutschen so gespalten wie die Wiedererrichtung des Berliner Stadtschlosses. Und auch nach der feierlichen Gundsteinlegung am Mittwoch sorgen viele Probleme dafür, dass dies in den nächsten Jahren so bleibt.

Das Riesenbauwerk entsteht am zentralsten Punkt Berlins. Schon an der äußersten Grenze Deutschlands ist die Entfernung in die Hauptstadt traditionell angegeben zu der Baugrube, die am Rande der Spree liegt, dort, wo der alte Boulevard „Unter den Linden“ beginnt. Hier stand das im Krieg zwar beschädigte, aber gut erhaltene „Berliner Schloss“: Die in fünf Jahrhunderten gewachsene, in Ausmaß und nationaler Bedeutung – wenn auch nicht Schönheit – der Wiener Hofburg vergleichbare Anlage, in der das Geschlecht der Hohenzollern lebte und regierte, zuerst Preußen und dann Deutschland bis 1918.

Gerade deshalb sprengte die DDR das ihr spätestens mit Wilhelm II. verhasste Schloss, um an der Stelle ihr eigenes Symbol zu errichten: Den „Palast der Republik“, deren größte Versammlungshalle. Den viel rascheren Untergang des deutschen Realsozialismus 1989 überlebte die proletarische Protzburg nicht lange: Weil die Asbest-Sanierung angeblich zu teuer war, wurde sie bald im Namen und auf hohe Kosten des wiedervereinten Deutschland abgetragen.

Deutsche Nostalgie

Nach langer, kontroverser Diskussion beschloss 2002 dessen Bundestag mit knapper Mehrheit, das angebliche Herz der Hauptstadt zu rekonstruieren – auf Kosten des Bundes, also aller Steuerzahler. Auch wenn die Nutzung damals offen blieb.

Inzwischen ist die klar: Mehrere über Berlin verteilte Museen ziehen hier zusammen, es wird Einkaufspassagen, Restaurants und Verwaltungsbüros geben. Die internationale Ausschreibung kürte überraschend einen Italiener zum Sieger, der mit dem einzigen Mitarbeiter, seiner Frau, nie Größeres gebaut hatte, wie renommiertere Verlierer klagten.

Doch Franco Stella hatte das richtige Konzept für nostalgische deutsche Größe: Außen alte Fassade, innen riesige Frei- und Lufträume und einen Hauch Art déco – oder so ähnlich. Für die meisten Architekturkritiker ist das Projekt eine Attrappe des Historismus, ein lächerlicher Hybrid: Die Barockfassade wird an drei Seiten rekonstruiert, an der vierten ist sie modern wie die Innereien des Baus.

So umstritten wie die Optik ist die Funktion bei Politik und Intellektuellen: Die Fans versprechen sich die Besinnung auf preußische Tugenden und endlich wieder historische Perspektiven über die gerade in Berlin architektonisch stets präsente Nazizeit hinaus. Die Gegner halten den Bau für den besonders überflüssigen Ausdruck deutscher Großmannssucht – und Verschwendung von Steuergeld. Für sie wurde der verschämte Name „Humboldt-Forum“ nachgereicht.

Weil jetzt schon mit 630 Millionen Euro doppelt so hohe Kosten anstehen wie 2002 geschätzt, wurde die Rekonstruktion der das Schloss einst prägenden Kuppel gestrichen. Für die und andere Barockimitationen werden noch patriotische Spender gesucht.

Auch sonst türmen sich die Probleme: Die Museen beklagen unbrauchbare Räume, andere Nutzer unklare Konzepte, alle die Klimaanlage. Die Lokalpresse fürchtet, dass das Schloss die kostenexplodierende Hamburger Elbphilharmonie schlagen wird, obwohl es baulich weit weniger Ansprüche stellt.

Nur Berlin freut sich: Die notorisch schlecht verwaltete Stadt bekommt eine weitere Attraktion. Und sogar die hohen Betriebskosten müssen alle anderen zahlen – man ist schließlich Hauptstadt.

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