Zwillinge nach der Geburt getrennt und verkauft: TikTok vereinte sie
"Es war, als würde man in einen Spiegel schauen, genau dasselbe Gesicht, genau dieselbe Stimme. Ich bin sie und sie ist ich", sagte die junge Georgierin Amy Khvitia der BBC über ihre erste Begegnung mit ihrer Schwester Ano Sartania.
Die jungen Frauen sind eineiige Zwillinge, aber das fanden sie erst vor zwei Jahren heraus. Ihre leibliche Mutter war nach ihrer Geburt in ein Koma gefallen. Als sie aufwachte, erzählte ihr das Krankenhauspersonal, dass ihre Babys gestorben seien.
Doch in Wahrheit wurden Amy und Ano verkauft. Sie konnte keine Kinder bekommen, erzählte die Frau, bei der Amy aufgewachsen war, später. Ein Freund habe ihr daher den Tipp gegeben, dass es im örtlichen Krankenhaus ein ungewolltes Baby gebe. Sie zahlte den Ärzten Geld – wie viel, wollte sie nicht sagen, und zog Amy als ihr eigenes Kind auf. Anos Geschichte ist ähnlich.
Amy sah "Doppelgängerin" in Talentshow tanzen
Amy wurde mit 12 Jahren zum ersten Mal stutzig, als sie sich eines Abends ihre Lieblingsshow „Georgia’s next Talent“ ansah. Denn dort tanzte ein Mädchen, das genau so aussah wie sie: Ano. Nach Ausstrahlung der Sendung habe es Anrufe bei ihrer Familie gegeben: „Warum tanzt Amy unter einem anderen Namen?“, hätten sie gefragt. Ihre Mutter habe lediglich gemeint, jeder habe doch eine Doppelgängerin.
➤ Mehr lesen: Wiener Neustadt - Vermisste 16-Jährige kehrte zu den Eltern zurück
Sieben Jahre später, 2021, ließ Amy sich dann die Augenbrauen piercen und postete ein Video davon auf TikTok. Mehr als 300 Kilometer von ihr entfernt schickte ein Freund die Aufnahme an Ano. „Ich fand es cool, dass sie aussieht, wie ich“, sagt sie. Danach versuchte sie, das Mädchen im Video irgendwie zu finden. Über eine WhatsApp-Gruppe ihrer Universität klappte es schließlich – jemand, der Amy kannte, stellte ihr den Kontakt her.
"Ich habe so lange nach dir gesucht"
Amy dachte sofort, dass Ano das Mädchen sein musste, das sie mit 12 im Fernsehen gesehen hatte. "Ich habe so lange nach dir gesucht!", schrieb sie. "Ich auch", antwortete Ano. Sie trafen sich und merkten, dass sie sich nicht nur körperlich ähnelten: Sie mochten die gleiche Musik, tanzten gern, hatten die gleiche Knochenerkrankung und sogar dieselbe Frisur.
➤ Mehr lesen: Aufwachsen ohne Eltern - Moldaus "Allein-zu-Hause-Kinder"
Die beiden fanden heraus, dass ihre Geburtsurkunden und ihr Geburtsdatum, das ein paar Wochen auseinander lag, gefälscht waren – und sie tatsächlich Zwillinge sind.
Über eine Facebook-Gruppe lernten sie ihre leibliche Schwester kennen
Amy und Ano begannen daraufhin, nach ihren leiblichen Eltern zu suchen. Sie stießen auf eine Facebook-Gruppe, in der Menschen mit ähnlichen Geschichten wie den ihren nach ihren Angehörigen suchten, und posteten hinein. Eine Frau aus Deutschland setzte sich mit ihnen Kontakt – Amy und Anos leibliche Schwester. So reisten die Zwillinge nach Leipzig und lernten ihre leibliche Mutter kennen. Die hatte nach der Geburt herausgefunden, dass der Tod ihrer Kinder nicht registriert worden war und sie daher noch leben könnten. Amy und Ano haben heute kein enges Verhältnis zu ihrer Mutter, aber sie stehen noch immer in Kontakt zueinander.
"Bis zu 100.000 Babys gestohlen"
Die Facebook-Gruppe, über die die beiden ihre Schwester gefunden haben, hat mehr als 230.000 Mitglieder. Eine Journalistin namens Tamuna Museridze, gründete sie 2021 und deckte so einen jahrzehntelangen Kinderhandelsskandal auf – Zehntausende Menschen sollen davon betroffen gewesen sein.
➤ Mehr lesen: Kriegsvermisste im Kosovo - Die Angehörigen hoffen noch immer
"Das Ausmaß ist unvorstellbar, es wurden bis zu 100.000 Babys gestohlen. Es war ein System", sagt Museridze. Auch sie ist auf der Suche nach ihren leiblichen Eltern, bisher ohne Erfolg.
Kommentare