Zum Sterben auf Kreuzfahrt: Der Tod unter Deck
Zartrosa Wolken, eine sanfte Brise, am Horizont versinkt die Sonne im Meer. Ein frisch verheiratetes Paar steht an der Reling und beobachtet die Szene. Unter Deck versuchen sich die Passagiere an einem Tango, nebenan findet die dritte Bingo-Partie des Tages statt.
Gleichzeitig stirbt ein Mensch.
Pro Jahr begeben sich weltweit 21,7 Millionen Passagiere auf eine Kreuzfahrt. Nicht alle sehen ihren Heimathafen wieder, denn manchmal ist auch der Tod an Bord. Die Reise-Veranstalter sind auf das Ableben ihrer Gäste bestens vorbereitet. Um die Ferien-Stimmung an Bord nicht zu stören, wird damit aber höchst diskret umgegangen.
"Machen Kreuzfahrten nur, um zu sterben"
Während sich Reedereien hüten, konkrete Zahlen zu Todesfällen an Bord der Luxus-Liner zu nennen, sorgte kürzlich ein Bericht auf der Social-News-Website Reddit für Aufsehen. Ein User, der angab, auf einem Kreuzfahrt-Schiff gearbeitet zu haben, berichtete von mindestens drei Toten pro Monat und Schiff. "Manche Menschen machen eine Kreuzfahrt nur, um dabei zu sterben", schrieb er. Andere User pflichteten ihm bei. Kreuzfahrten von Alaska Cruises würden wegen der vielen Toten sogar als "Farewell-Cruises" (dt. Abschieds-Kreuzfahrten) bezeichnet, erklärte einer von ihnen.
Andere Quellen, wie die britische Zeitung The Telegraph, sprechen hingegen nur von etwa 200 Todesfällen im Jahr auf Kreuzfahrten weltweit. Diese Zahl beinhalte allerdings nur "natürliche" Todesarten. Selbstmorde, Verbrechen und Unfälle, bei denen Menschen von Bord fallen, seien nicht inkludiert.
Code Alpha
Dass die morbide Seite der glamourösen Schiffe viel Interesse auf sich zieht, zeigt die Existenz eigener Websites, die sich damit beschäftigen. Auf cruiseshipdeaths.com findet sich etwa eine präzise Auflistung von Todesfällen auf Kreuzfahrtschiffen – geordnet nach Sterbeursachen, von Mord über Krankheiten bis zu Bränden.
"Die meisten Menschen, die auf Kreuzfahrt sterben, sterben eines natürlichen Todes, zum Beispiel an einem Herzinfarkt", erzählt Jürgen Preimesberger. Sechs Jahre lang war er Schiffsarzt, die gewonnenen Erfahrungen hat er in seinem Buch "Code Alpha, Coole Drinks und bittere Pillen. Ein Schiffsarzt auf Kreuzfahrten" festgehalten.
Der Titel "Coda Alpha" spielt auf jene Durchsage über die Lautsprecher des Schiffes an, die einen medizinischen Notfall bekanntgibt. "Code Oscar" hingegen bedeutet, dass jemand über Bord gegangen ist. "Innerhalb von drei Minuten trifft dann ein Rettungsteam ein, um mit der Reanimation zu beginnen", sagt Preimesberger.
Am Bord größerer Schiffe können fast alle medizinischen Notfälle behandelt werden. Nur wenn ein chirurgischer Eingriff notwendig ist, muss der Patient ausgeflogen und in ein Krankenhaus gebracht werden. In Hafennähe könne der Arzt nach eingehender Beratung auch ein Umkehren des Schiffes erwirken. "Aber das kostet so viel Geld, dass im Nachhinein kontrolliert wird, ob es da wirklich um Leben oder Tod ging, sonst bekommst du Probleme", erzählt Preimesberger.
Billiger als ein Zimmer im Altersheim
Dass auf den Fahrten immer wieder Passagiere sterben, erklärt sich der Schiffsarzt mit dem oft fortgeschrittenen Alter der Gäste. "Manchmal war das Durchschnittsalter an Bord 75", sagt er. Besonders um die Weihnachtszeit herum würden alte Menschen häufig von ihren Familien auf eine Kreuzfahrt "abgeschoben". "Die denken sich, die Senioren sind dort gut versorgt, werden unterhalten und medizinische Betreuung gibt es auch." Auf Reddit berichten User, für einige Senioren - besonders aus den USA - sei ein dauerhafter Schiffsaufenthalt sogar billiger als ein Zimmer im Altersheim.
Stirbt ein Passagier, gelte es, die Nachricht möglichst geheim zu halten, erzählt Nina Ciesielski. Sie hat sieben Jahre auf einem Kreuzfahrtschiff gearbeitet und kennt die weniger schillernden Seiten des Jobs genau. "Dass jemand gestorben ist, wird nie publik. Verwirrung, Emotionen, Stress – das alles soll vermieden werden", sagt sie. "Die Leichen werden dann nach unten transportiert, das darf aber niemand mitbekomme." Wenn jemand fragt, heiße es, die Person komme auf die Krankenstation – dabei bedeutet "nach unten" etwas ganz anderes.
Auf jedem Kreuzfahrtschiff gibt es eine Leichenhalle, in der sich je nach Schiffsgröße unterschiedlich viele Kühlfächer für menschliche Körper befinden. Bis zu einer Woche können verstorbene Passagiere darin bei ca. 4 Grad Celsius gelagert werden. Das ist vor allem dann notwendig, wenn die Hafenbehörden zum Beispiel auf kleinen asiatischen oder afrikanischen Inseln das Ausladen der Leiche nicht erlauben. Meistens würden die Angehörigen aber einen Abtransport gleich beim nächsten Hafen und eine schnelle Rückführung vorziehen. Dann ist der Schiffsarzt mit viel Bürokratie konfrontiert. Er muss die Umstände des Ablebens genau protokollieren und an die Behörden im nächsten Hafen weiterleiten. Vor dem Abtransport käme oft auch ein Gerichtsmediziner an Bord, sagt Schiffsarzt Preimesberger. "In den USA kommt sogar das FBI."
Um die Details der Überstellung mit den Hinterbliebenen zu koordinieren, gibt es auf den meisten Kreuzfahrschiffen speziell geschulte Crew-Mitglieder. Außerdem ist immer auch ein Geistlicher an Bord, der den Angehörigen der Verstorbenen seelsorgerischen Beistand leistet, falls das erwünscht ist.
Auch das Von-Bord-Bringen des Köpers ist in weiterer Folge nicht ganz einfach, denn die restlichen Kreuzfahrt-Passagiere sollen auch davon nichts mitbekommen. "Die Verstorbenen werden darum meist in Säcken aus dritter Ebene herausgehievt, zusammen mit der Lagerware", erzählt Ciesielski.
Erst wenn alle Beteiligten grünes Licht gegeben haben und der Papierkram erledigt ist, kann der Verstorbene seine allerletzte Reise antreten - und nach Hause gebracht werden.
Vom Nordpol bis in die Südsee: Nie zuvor war das Reisen mit dem Schiff beliebter als heute. Gingen im Jahr 2008 weltweit noch 17,9 Millionen Passagiere an Bord eines Kreuzfahrtschiffes, waren es im Jahr 2018 bereits 27,2 Millionen.
Laut Schätzungen von Branchenexperten werden 2020 noch mehr, nämlich rund 32 Millionen Menschen, über die Weltmeere an die entlegensten Orte des Globus schippern. Das wäre ein Plus von sechs Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Mit einer Million Passagieren ist Genua einer der größten Häfen weltweit. Die beliebtesten Ziele sind die Karibik und das Mittelmeer. Besonders im Trend liegen auch Flusskreuzfahrten.
Und längst bleibt das Allround-Verwöhnprogramm an Bord nicht mehr nur reichen Luxus-Reisenden vorbehalten. Das Kreuzfahrtschiff als Urlaubsort ist im Mainstream angekommen. Umso schwerer wiegen die Sorgen vieler Umweltschutzorganisationen hinsichtlich Emissionen und Kraftstoffverbrauch der Riesenschiffe.
Buchtipps der Autorin:
Jürgen Preimesberger: „Code Alpha: Coole Drinks und bittere Pillen. Ein Schiffsarzt auf Kreuzfahrten“. Berenkamp-Verlag, 2017.Gebunden,176 Seiten.18,50 Euro.
David Foster Wallace: "Schrecklich amüsant - aber in Zukunft ohne mich". Kiepenheuer & Witsch, 2017. Taschenbuch, 176 Seiten, 8,30 Euro.
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