"Will Angst sehen": Wer hinter Unruhen in den Niederlanden steckt
„Es fühlt sich ein bisschen an, als wären die Niederlande im Bürgerkrieg“. Veronika Wolf lebt seit 2019 in Den Haag, doch derzeit erkennt sie die Stadt nicht wieder.
„Montagabend bin ich um 18.00 Uhr von der Arbeit nachhause gegangen, links und rechts hat man Explosionen von Böllern gehört“, schildert die 24-jährige Österreicherin dem KURIER den Beginn der zweiten Krawallnacht in rund zehn niederländischen Städten.
Großteils Jugendliche
Ab 21 Uhr – da war Wolf längst daheim – zogen Gruppen von Jugendlichen durch die Straßen, attackierten Polizisten mit Feuerwerkskörpern, Steinen und Golfbällen, warfen Autos um, zündeten Mopeds an, schlugen Scheiben ein und plünderten Geschäfte.
In einigen Städten, darunter Rotterdam und Eindhoven, griffen die über Social Media gut organisierten Randalierer Rettungswagen und sogar ein Spital an. Am Ende gab es mindestens zehn verletzte Polizisten, Schäden in Millionenhöhe und 184 Festnahmen, vor allem Jugendliche.
Ausgelöst wurden die schwersten Krawalle seit den Hausbesetzungen der 1970er-Jahre durch die Verhängung einer nächtlichen Ausgangssperre im Zuge der Corona-Bekämpfung. Zwischen 21.00 und 04.30 Uhr müssen die Niederländer in ihren Wohnungen bleiben, ein Verstoß kostet 95 Euro.
Die Maßnahme ist nicht nur wegen der zuletzt bereits gesunkenen Infektionszahlen umstritten; die letzte Ausgangssperre gab es während der NS-Zeit, wie Kritiker betonen.
Vorwand
Auch wenn viele Einwohner über die Ausgangssperre verärgert sind, halten Beobachter diese lediglich für einen Vorwand der Gewalttäter, Chaos zu säen. Bei den Protesten gegen die Corona-Maßnahmen, die den Randalen vorausgingen, seien wirkliche Demonstranten die Ausnahme gewesen, sagte die Journalistin Kerstin Schweighöfer dem Deutschlandfunk.
Die meisten Teilnehmer seien Hooligans polizeibekannter Fußballklubs gewesen, Neonazis, Verschwörungstheoretiker sowie „Chaos-Touristen“ aus anderen Landesteilen und aus Belgien.
Sie alle folgten Aufrufen in sozialen Netzwerken, sich mit Polizisten anzulegen und Geschäfte zu stürmen. „Ich will Angst sehen in den Augen der Politiker“, hieß es in einem Posting.
Premier Mark Rutte verurteilte die „kriminelle Gewalt“, die sich bei den Protesten Bahn gebrochen habe. Der Bürgermeister der besonders stark betroffenen Stadt Rotterdam, Ahmed Aboutaleb, stellte die Randalierer über Twitter zur Rede. „Und? Aufgewacht?", fragte er in einem bisher knapp 250.000-mal aufgerufenen Video. "Ist das ein gutes Gefühl, seine Stadt kaputtgemacht zu haben?" Aboutaleb richtete sich auch an die Eltern der Jugendlichen: „Haben Sie gestern Ihren Sohn nicht vermisst?“
Die Demos an sich seien nicht überraschend gekommen, analysierte der niederländische Soziologe Bert Klandermans am Montag gegenüber der Apa. In den vergangenen Monaten habe sich viel Frust aufgestaut, die Menschen seien zunehmend „weniger gewillt, zu kooperieren“. Zudem seien die Möglichkeiten, sich zu beschäftigen oder abzulenken, immer mehr dezimiert worden.
"Giftiger Cocktail"
„Die Corona-Pandemie wirkt wie ein Brandbeschleuniger“, sagt dazu Journalistin Schweighöfer. Die Krise verbindet, wie auch bei Corona-Demos in Österreich, unterschiedliche Gruppierungen, die sich schon länger missachtet fühlen – laut Schweighöfer ein „giftiger Cocktail“.
Die weitaus meisten Niederländer, so sind sich die Beobachter einig, lehnten die Gewalt aber klar ab, auch wenn sie angesichts der Corona-Maßnahmen murren. In den Umfragewerten der Regierung schlägt sich das bisher nicht nieder, sie hat weiter hohe Zustimmungswerte.
Sorge in Belgien
Für Dienstagabend und die kommenden Tage wurden weitere Krawalle erwartet. Auf Social Media wurden Videos der jüngsten Vandalenakte, von Angriffen auf die Polizei und von Plünderungen gepostet – und Aufrufe zu neuen Aktionen.
Das benachbarte Belgien fürchtet ein Übergreifen der orchestrierten Gewalt, nachdem auch dort Protestaufrufe gepostet wurden. Am Samstag soll es in mehreren Städten Demonstrationen geben.
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