Man stelle sich vor: In einem großen europäischen Staat bricht eine Epidemie aus, der Grippe nicht unähnlich. Doch der Virus ist unbekannt. Seine schlimmste Wirkung, die unbehandelt zu Tod führen kann, entfaltet er drei Wochen nach Ansteckung. Unaufhaltsam scheint das Land auf das Chaos zuzusteuern: Zu wenig Krankenhausbetten, Ärzte, Impfstoffe. Gleichzeitig tobt in den sozialen Medien der Sturm gegen die vermeintlich unfähige Regierung.
Die Wut in der Bevölkerung steigt, Proteste kommen auf; eine extrem-populistische Partei nutzt die Gunst der Stunde und gewinnt massiv an Zulauf.
Was ist tun? Und vor allem: Handelt es sich um eine Epidemie – oder sind die Vorgänge Teil eines koordinierten Angriffs eines unbekannten Gegners?
Fiktiv, aber gar nicht unwahrscheinlich ist dieses Szenario, wie es in Helsinkis Abwehr-Zentrum gegen hybride Attacken durchgespielt wird. In einer alten Brotfabrik ist es angesiedelt, das von EU und NATO gemeinsam betriebene Zentrum, das die europäischen Staaten gegen die modernsten Bedrohungen wappnen soll. Ganz oben auf der Themenliste stand dieses neue Gefahrenpotenzial am Donnerstag in Helsinki auch beim gemeinsamen Treffen der EU-Außen-und Verteidigungsminister.
Verwundbare Staaten
Anhand verschiedener Katastrophenszenarien „zeigen wir den Staaten, wie verwundbar sie sind – und welche Abwehrstrategien sie entwickeln können“, schildert Jukka Savolainen. Der hochrangige Mitarbeiter am Exzellenz-Zentrum in der finnischen Hauptstadt schildert das Tückische an hybrider Angriffsführung: Es kann eine Mischung sein aus militärischer und nicht-militärischer Aggression, aus Propaganda, gezielter Falschinformation und Instrumentalisierung politischer Gegner – alles mit dem Ziel, eine Region oder einen Staat völlig zu destabilisieren.
„Das klassische Beispiel für hybride Angriffsführung war die Krimkrise im Jahr 2014“, sagt Savolainen. Ein Krieg wurde nie offiziell erklärt. Dafür landeten (russische) Soldaten ohne Abzeichen auf der Halbinsel, sicherten die Macht, während Moskau kategorisch alles leugnete.
Alarmglocken läuten
Spätestens damals läuteten auch in der EU alle Alarmglocken: Gegen diese Art von Angriffen müsse sich die bis dato leicht angreifbare Europäische Union viel besser schützen.
Neben 22 anderen Staaten hat sich auch Österreich eingeklinkt, in das Zentrum in Finnland. Auch in Wien weiß man, dass man mit militärischen Mitteln allein den hybriden Angreifern wenig entgegenzusetzen hat. In Helsinki werden maßgeschneiderte Szenarien durchgeackert – und ganz spezielle Lösungen erarbeitet. Was Angriffe zwar nicht verhindert, aber zumindest ermöglicht, schneller zu reagieren.
Wie etwa im Fall der Giftattacke gegen den ehemaligen russischen Spion Sergej Skripal. Für die britischen Behörden stand sehr bald fest: Es war ein, von russischen Geheimdienstagenten ausgeführter Angriff.
„Wir spielen nicht gegen einen speziellen Staat“, behauptet der finnische Experte. Doch Finnlands großer Nachbar Russland steht immer wie ein unsichtbarer Elefant im Raum. Wurde das skandinavische Land, dessen Luftraum russische Kampfflieger immer wieder verletzen, zuletzt vermehrt Opfer von hybriden Angriffen?
„Alle EU-Staaten waren in den vergangenen Jahren Ziel hybrider Attacken“, schildert ein Mitarbeiter des finnischen Verteidigungsministeriums dem KURIER ausweichend. Und Finnlands Verteidigungsminister Antti Kaikkonen beharrt darauf: „Die EU kann viel mehr tun, wenn es darum geht, ihre Bürger zu schützen.“
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