Wie eine Gruppe Frauen dazu kam, für den Papst zu sticken

Eine ältere Dame mit blauem Mantel steht vor einer christlichen Stickerei
Was einst reine Leidenschaft war, ist für die Handwerkerinnen der Schule Reggio Ricama im Laufe der Jahre eine himmlische Aufgabe geworden.

Es muss ein besonderes Gefühl sein, zu wissen, dass auf einem der Altäre im Petersdom ein Tuch liegt, das man zusammen mit Freundinnen bestickt hat. Noch dazu, wo alles, vor vielen Jahren, ganz normal begonnen hatte, wie Sandra Cosmi erzählt: „Wir tauschten miteinander Erfahrungen und Ratschläge für unsere Leidenschaft, das Sticken, aus“, erzählt die Leiterin der Schule Reggio Ricama dem KURIER, während sie durch die Ausstellung von Stickarbeiten im Bankinstitut Credem in der italienischen Stadt Reggio Emilia führt.

Nicht einmal im Traum hätten sie sich damals vorstellen können, eines Tages deswegen in die Zeitungen und ins Fernsehen zu kommen. Na ja, damals hätten Cosmi und ihre Freundinnen sich ja auch nicht vorstellen können, die Kühnheit zu besitzen, für den Papst sticken zu wollen. 

Mittlerweile haben die Frauen schon drei Altartücher angefertigt. Und jetzt geht es bald an die Anfertigung des nächsten, für das Jubiläumsjahr 2025.

Wie eine Gruppe Frauen dazu kam, für den Papst zu sticken

Das Tuch des Vergebens auf dem Altar von Sankt Joseph.

Dass sie es so weit gebracht haben, verdanken sie nicht zuletzt ihrer kulturellen Neugierde. „Da jede von uns andere Sticktechniken kannte, machten wir uns in ganz Italien auf die Suche nach lokalen, typischen Stichen“, erzählt Cosmi weiter. Und irgendwann stellten sie sich auch die Frage: „Was ist für Reggio Emilia typisch?“ 

Sticken als Behandlungsmethode für psychisch kranke Frauen

Obwohl sie pessimistisch waren, fündig zu werden, wurde die Suche belohnt. „Da muss man aber zeitlich etwas zurückgreifen“, sagt Frau Cosmi. „In den Dreißigerjahren gab es außerhalb von Reggio Emilia eine psychiatrische Anstalt, die eine gewisse Bekanntheit erlangt hatte, weil sie von Maria Bertolani Del Rio geführt wurde - das war die erste Psychiaterin und auch erste Direktorin einer Nervenklinik in Italien.“ 

Die Ärztin hatte bemerkt, dass die Patienten, wenn man sie beschäftigt hielt, viel ruhiger wurden. Deswegen beschloss sie, 1931 mit ihren Patientinnen an einem nationalen Handwerks-Wettbewerb für Frauen teilzunehmen, der in der apulischen Stadt Bari stattfand. Über einen Kunstexperten stieß sie auf eine von Blumen geprägte lokale Dekorationstradition, die noch auf die Zeit der hier sehr verehrten mittelalterlichen Markgräfin Mathilde von Canossa (um 1046 – 1115) zurückging.

Das Institut gewann so den ersten Preis und die Psychiaterin setzte den therapeutischen Ansatz fort. Die Muster und Zierleisten aus der Zeit Mathildes wurden den Patientinnen als Vorlagen zum Sticken, Malen und für andere kunsthandwerkliche Beschäftigungen gegeben. 

Mittelalterliche Stickkunst

Frau Cosmi und ihren Freundinnen gelang es noch, eine der Stickerinnen, die das Institut einst nutze, auszumachen. „Die Frau war schon sehr alt, aber noch sehr klar im Kopf. Und sie hat uns die Kunst der Dekoration aus der Ära Mathildes, die "Ars Canusina", beigebracht.“

Aus dem einstigen Erfahrungsaustausch war 1990 die Stickereischule Reggio Ricama entstanden, die es weiter gibt. Im Laufe der Jahre hatten sich die Frauen außerdem so viel Erfahrung und Geschick angeeignet, dass sich der Wunsch anbahnte, Papst Franziskus ein Geschenk zu sticken: Ein Altartuch für die Kapelle von Santa Marta, dem Gästehaus des Vatikans, in dem der Heilige Vater wohnt.

„Der Wunsch wurde zur Tat. Auf das weiße Leinen haben wir 2.665 Blumen mit der Wickelstichtechnik gestickt“ sagt Frau Cosmi. Das Tuch nannten sie „Paradiestuch“ und übergaben es persönlich dem Papst. Später folgten das Tuch des Fischers und das Tuch der Vergebung. Letzteres, mit dem "Ars Canusina"-Stil dekoriert, schmückt den Altar von San Giuseppe im Petersdom. Jetzt wartet man gespannt auf das Jubiläumstuch.

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