Wie ein spanischer Senioren-Rebell die Banken in die Knie zwang

Wie ein spanischer Senioren-Rebell die Banken in die Knie zwang
Kundendienst trotz Digitalisierung: Mit der Initiative „Ich bin alt, aber nicht blöd" zwang Carlos San Juan Banken, auf ältere Menschen zuzugehen. Der KURIER traf den gefeierten Helden.

Von Stefanie Claudia Müller

Als den Urologen und Chirurgen Carlos San Juan mit 65 Jahren die Nachricht traf, dass er wegen Parkinson seinen geliebten Beruf nicht mehr ausüben könne, wurde er depressiv, fühlte sich nutzlos. Als jedoch eines Tages am Geldschalter seiner Hausbank Caixabank, gelegen in einem bescheidenen Arbeiterviertel im Zentrum von Valencia, eine ältere Frau mit einem Zettel mit ihrem Karten-Pin um Hilfe bittet, weil sie mit dem hochmodernen Automaten nicht klar kommt, schlägt seine Stunde: Der überzeugte Sozialdemokrat (80) fühlt sich nach Protesten gegen den NATO-Beitritt Spaniens und vielen anderen lokalen Protesten erneut berufen, auf die Straße zu gehen.

„Das Verhalten der Banken, uns Alte durch die Digitalisierung immer weiter von Grunddienstleistungen wie dem Auszahlen unserer Rente auszuschließen, ging mir schon seit Langem gegen den Strich.“ Nicht nur hatte der spanische Finanzsektor nach der Krise 2012 die Zahl der Niederlassungen radikal heruntergefahren, sondern auch den für die Spanier wichtigen persönlichen Kontakt mit dem Kunden weitgehend eingefroren. Die Pandemie beschleunigte diesen Prozess. San Juans Parkinson-Erkrankung aber machte auch ihn unsicher beim Eintippen der Zahlen beim Onlinebanking oder vor dem Geldautomaten.

Change-Kampagne

Der angesehene Arzt startete eine Kampagne auf change.org. Seine Frau war von Anfang an seine größte Unterstützerin, während viele Freunde ihn für verrückt hielten. San Juan nannte den Aufruf so, wie er sich fühlte: „Ich bin alt, aber nicht blöd (Soy mayor, pero no tonto).“

Innerhalb weniger Wochen hatten Hundertausende sein Anliegen unterschrieben: „Ich merkte, dass es vielen so ging wie mir, dass sie sich von den Banken und ihren komplizierten Apps in die Ecke gedrängt fühlten. Die Banken versuchen, zu vermeiden, dass die Menschen in die Niederlassungen kommen, um Personal zu sparen.“

Die spanische Wirtschaftsministerin Nadia Calviño wurde auf ihn aufmerksam, versprach ihm ein Gesetz, das Banken zwingt, eine analoge Blase für nicht digitale Menschen aufrechtzuerhalten. Die meisten spanischen Banken gaben dem durch die Medien verstärkten Druck nach und fuhren die reduzierten Geschäfts- und Schalterzeiten wieder hoch. Seine Hausbank schulte das Personal sogar auf den Umgang mit älteren Menschen.

„Das Adrenalin tut mir gut"

San Juans Geschichte wurde nicht nur im November vom EU-Parlament gewürdigt, wo er mit 29 anderen zum Bürger des Jahres 2022 gekürt wurde, sondern schaffte es bis in die New York Times. In Valencia sprechen ihn die Menschen auf der Straße an, wollen ein Selfie mit ihm. „Spanien wird im Jahr 2050 die höchste Lebenserwartung der Welt haben, schon jetzt machen alte Menschen ein Viertel der Bevölkerung aus. Die Unternehmen dürfen uns nicht vergessen“, sagt er.

Was ihn fit hält? „Das Adrenalin tut mir gut. Manchmal bin ich selber zu Tränen gerührt, was ich in Gang gebracht habe.“ Denn inzwischen redet Spanien auf allen Kanälen über die Bedürfnisse von alten Menschen in der digitalen Welt. Und die Welt redet über Carlos San Juan.

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