Hoffen auf weihnachtlichen Geldregen in Spanien durch den "Dicken"
Die aktuelle Wirtschaftskrise heizt die Weihnachtslotterie, die „dickste“ der Welt, besonders an. Aberglaube und Gemeinschaftssinn machen im Spiel alles möglich.
18.12.22, 19:00
Von Stefanie Claudia Müller
Elisabeth Rojas denkt schon nach den Sommerferien an Weihnachten. Sobald die Lose für die Lotterie raus sind, fängt sie an zu kaufen: „Immer, wenn ich irgendwo beruflich oder privat unterwegs bin, versuche ich, eins mitzunehmen, um meine Chancen zu erhöhen, da die Gewinne übers Land verteilt werden. Aber es ist auch wichtig, von null bis neun alle Endnummern zu haben“, erklärt sie. Für alle Laien: Da gibt es den „Dicken“ (el gordo) und das „Kind“ (el niño). Stichtag für den „Dicken“ ist der 22. Dezember. Die Ziehung heißt so, weil so hohe Gewinne ausgezahlt werden wie nirgendwo sonst auf der Welt. Allerdings ist der Einsatz mit mindestens 20 Euro für ein „décimo“ (ein Zehntel), wie der Anteilsschein auf eine Losnummer einer Serie genannt wird, hoch.
Rojas wird in diesem Jahr wohl wieder rund 200 Euro für Lose ausgeben. 180 Millionen solcher „décimos“ wurden von der Staatslotterie für den „Dicken“ am 22. Dezember zum Verkauf herausgegeben, womit in diesem Jahr 3,6 Milliarden Euro im Spiel sind. 70 Prozent davon werden ausgeschüttet.
Nationalereignis
Die spanische Weihnachtslotterie ist ein Nationalereignis. Kinder singen live im Fernsehen stundenlang die Zahlen der Gewinnerlose; die Medien heizen den Kauf monatelang mit kinofilmähnlichen Werbespots an.
Die Spanier verfolgen das Spektakel mit der ganzen Familie in Bars, Restaurants oder in der Arbeit. Wer am 22. Dezember nicht abgesahnt hat, setzt meist noch auf den Hauptgewinn vom „Kind“, der am 6. Jänner ausgeschüttet wird. „Erst danach ist Weihnachten wirklich vorbei,“ erzählt Rojas.
Aberglaube spielt dabei eine wichtige Rolle. Deswegen wird bei der Lottostelle gekauft, wo schon viel Gewinne abgefallen sind. In Madrid ist das die „Doña Manolita“, wo die Menschen jedes Jahr stundenlang anstehen. Die außerordentliche Weihnachtsziehung, die 1812 in Spanien eingeführt wurde, hat ihren Hauptgewinn schon 82-mal an eine Madrider Tippgemeinschaft ausgezahlt. Die Glückssträhne von „Doña Manolita“, wo seit 1904 Lose verkauft werden, hat sogar Schmuckhersteller bewogen, unter gleichem Namen Anhänger zu verkaufen.
„Hoffnung stirbt zuletzt“
Die Kommunikationsexpertin Consuelo Arias erklärt den Lotteriewahn in Spanien damit, dass er Teil der Kultur geworden ist. Egal, ob arm oder reich, ob rechts oder links, alle machen mit: „Bei mir in Alcalá de Henares hat ein Fußballklub den ,Dicken‘ gewonnen und konnte sich damit ein neues Stadium bauen.“ Jeder will einmal zu den Glücklichen gehören.
Bei „Doña Manolita“ steht Irma schon seit Stunden in der Schlange; vor ihr Lotterie-Touristen, die nur wegen der Madrider Glückssträhne gekommen sind. Es regnet in Strömen. Klar könnte sie auch bei denen kaufen, die vor dem Lotto-Shop mit ihren „Doña Manolita“-Losen rumlaufen, „aber ich warte lieber, da ich ganz viele kaufen muss, für Freunde und Familie.“ Einer der Wiederverkäufer bei der „Doña Manolita“, José, hat seine Lose mit Plastik abgedeckt, damit sie nicht nass werden an diesem kaltfeuchten Dezembertag. Weihnachtslotterie funktioniere immer, sagt er und in Krisenzeiten noch mehr: „Denn die Hoffnung stirbt zuletzt.“
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