Vulkanausbruch auf La Palma: Das bedrohte Paradies im Atlantik
Von Josef Vötsch
Auf der kleinen, grünen Insel gibt es einen beliebten und bekannten Wanderweg namens „Ruta de los Volcanes“ (Vulkanweg), der sich am Fuß der „Cumbre Vieja“ (Alter Bergrücken) entlang der zahlreichen schlummernden Vulkane schlängelt und über den auch die Transvulcania führte – ein Ultramarathon, der auf 74 Kilometern 8.407 Höhenmeter überwindet und bisher elf Mal ausgetragen wurde. Für diese Attraktionen war La Palma bisher bekannt.
Doch das ist Geschichte.
Seit 19. September ist auf der kanarischen Insel im Atlantik, die zahlreiche Touristen mit ihren bizarren vulkanischen Formationen anzog, alles anders.
Nachdem sich eine Woche lang durch einen sogenannten „Erdbeben-Schwarm“ (Tausende sehr leichte Erdbeben) ein neuerlicher Vulkanausbruch angekündigt hatte, schossen am vergangenen Sonntag nach heftigen Explosionen aus sieben verschiedenen Schloten Lava, Feuer und Asche. Die Eruptionen hüllen seither Teile der Westseite der Insel in einen Ascheregen. Am 20. September öffneten sich dann unter großem Getöse zwei weitere Schlote, und vor der Küste wurde eine Wasserfontäne gesichtet, was auf einen weiteren Spalt am Meeresboden schließen lässt, aus dem Lava strömt.
6.000 Menschen mussten Häuser verlassen
Die ersten Eruptionen fanden glücklicherweise in unbewohntem Gebiet statt, und es wurden bereits am Tag des Vulkanausbruchs rund 5.000 Menschen in Sicherheit gebracht, weitere 1.000 folgten in den Tagen darauf. Man befürchtet, dass der bis zu 16 Meter hohe und rund 1.000 °C heiße Lavastrom, der auf dem Weg zum Meer bereits etwa 200 Gebäude zerstört hat, mehr als 1.000 weitere vernichten könnte. Vorausgesetzt, der Vulkan bricht nicht noch an weiteren Stellen aus …
Während Politiker und das Königshaus den Betroffenen Hilfe zusichern und aus allen spanischen Provinzen Anteilnahme übermittelt wird, gehen die Tragödien der Opfer ob der bildgewaltigen Präsenz der faszinierenden Naturgewalt fast unter: Eine Frau, die noch einmal in ihr evakuiertes Haus zurückkehren konnte, um ihre Habseligkeiten mit einem vom Zivilschutz bereitgestellten Lastwagen abzutransportieren, brachte es in einem kanarischen TV-Beitrag auf den Punkt: „Auf diesem Lkw ist mein Leben“, mehr habe sie nicht.
Und so ergeht es dem Großteil der Leute, die ihre Unterkünfte verlassen mussten.
Ausländer und Auswanderer
Auf der Insel – und besonders in den von der Zerstörung bedrohten Gebieten – leben auch zahlreiche Ausländer und Auswanderer.
Einige Betroffene, wie das deutsche Ehepaar Gisela und Thomas Mischke, das seit Jahren auf der Insel in der Gemeinde Todoque lebt, hatten etwas mehr „Glück“. Sie fanden Unterschlupf in einem Gästehaus bei Freunden im Norden der Insel, der nicht vom Vulkanausbruch in Mitleidenschaft gezogen wurde.
Während sich die Lavamassen bereits auf das Zentrum von Todoque zuwälzten, durften die Mischkes noch einmal unter Begleitschutz zum Haus zurück, denn sie wollten ihren Kater suchen und mitnehmen, der bei der hastigen Evakuierung unauffindbar geblieben war. In dem gemieteten Haus, das sie unter großem Aufwand in den letzten Jahren instand gesetzt hatten, konnten sie noch einige persönliche Erinnerungsstücke mitnehmen, der Kater jedoch blieb unauffindbar. Jetzt zittern sie, dass in den nächsten Stunden ihr Heim unter den glühenden Lavamassen begraben wird. Falls das Haus zerstört wird, müssen sie nach Berlin zurückkehren: „Hier haben wir ja nichts mehr“, erklärten sie am Telefon.
Individuelle Dramen
Ein Nachbar der beiden, der Schweizer Mathias Schindler, konnte sich und seine Hunde in die Stadtwohnung in Los Llanos retten. Als während unseres Telefonats wieder ein heftiger Ausbruch mit dramatischem Gepolter den ansonsten eher unerschütterlichen Optimisten die Dramatik der Lage vor Ohr und Auge führte, meinte er, ihm sei bewusst gewesen, dass er sich auf einer Vulkaninsel niedergelassen habe, aber mit dieser Intensität der Naturgewalten habe er nie und nimmer gerechnet.
Mathias Schindler hat in den letzten 15 Jahren auf seinem Grundstück ein bezauberndes Gartenparadies mit zahlreichen exotischen Pflanzen erschaffen, das heute vielleicht schon Geschichte ist. Der materielle Schaden am Haus ist zu einem Teil durch eine Versicherung gedeckt und tangiert ihn nicht so sehr, aber ob der 73-Jährige den möglichen Verlust seines Gartens verkraftet, bleibt abzuwarten.
Wirklich tragisch ist das Schicksal der vielen Einheimischen, die ihr Heim verloren haben oder noch verlieren werden und die vor dem Nichts stehen und auf Hilfsleistungen angewiesen sind.
Einer der wichtigsten Wirtschaftszweige der Insel, die Bananenpflanzungen, ist im Südwesten der Insel teilweise von der Vernichtung bedroht. Teile sind bereits von der Lava verschlungen geworden, große Teile können nicht mehr bewässert werden, weil die Wasserkanäle – die das kostbare Nass aus dem Norden der Insel in den staubtrockenen Süden bringen – zerstört worden sind. Überhaupt ist ein bisher noch nicht abschätzbarer Schaden an der Infrastruktur (Straßen, Strom, Wasser, etc.) entstanden.
Eine besondere Entgleisung lieferte die spanische Ministerin für Industrie, Handel und Tourismus, Reyes Maroto, die erklärte, der Vulkanausbruch könne vom Tourismus durchaus positiv genutzt werden. Sie hat sich zwar umgehend für die Äußerung entschuldigt, aber es gibt doch eine historische Komponente: Der letzte Vulkanausbruch auf La Palma im Jahr 1971, bei dem drei Wochen lang aus dem Krater des Vulkans Teneguia Lava spektakulär ins Meer geflossen war, lockte zahlreiche Berufsfotografen auf die Insel. Deren Berichte in Zeitungen und Zeitschriften in aller Welt brachten viele Touristen auf die damals bettelarme und wirtschaftlich unterentwickelte Insel, die im Gegensatz zu anderen Kanarischen Inseln nicht mit großen Stränden aufwarten konnte und kann.
Bleibt zu hoffen, dass der neuerliche Vulkanausbruch sich auch ein historisches Beispiel an dem vom Jahr 1971 nimmt und ebenfalls keinerlei Todesopfer fordert und nach einigen Wochen friedlich erlischt.
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