Tschernobyl boomt: US-Serie verursacht Touristen-Ansturm

Tschernobyl boomt: US-Serie verursacht Touristen-Ansturm
Etwa 1000 Touristen besuchen die Sperrzone pro Tag. Nicht alle verhalten sich so, wie es angesichts der Umstände angemessen wäre.

Eigentlich müsste die Sperrzone rund um das ehemalige Kernkraftwerk Tschernobyl verwaist sein. Am 26. April 1986 explodierte der Reaktorkern in Block 4 des Kraftwerks. Es kam zum Super-Gau, eine radioaktive Wolke zog über Europa. Teile der Sperrzone sind noch immer stark kontaminiert. Die neue Schutzhülle rund um den Unglücks-Reaktor ist noch nicht fertig.

Selbst in Österreich sind die Folgen der Explosion bis heute messbar. Vor allem im Westen von Niederösterreich ist eine erhöhte Konzentration von radioaktivem Cäsium-137 in Wildpilzen und Wildschweinen nachweisbar - in der Regel jedoch unter dem Grenzwert.

1000 Besucher pro Tag

Weitaus schlimmer belastet ist natürlich die Sperrzone rund um das Kraftwerk. Bis vor wenigen Jahren wurden das waldreiche Gebiet und die Geisterstadt Prypjat deshalb nur von wenigen Abenteuerlustigen besucht. Einige sture Anwohner weigern sich zudem bis heute, die Zone zu verlassen.

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Ein Foto vor dem "Sarkophag" darf nicht fehlen

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Für Fotografen gibt es viele spannende Objekte

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Ein verlassener Freizeitpark

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Teil der Show: einmal Kontamination messen

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Die Anwohner mussten Prybjat 1986 fluchtartig verlassen

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Ein verlassener Freizeitpark

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Die düstere Serie "Chernobyl"

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Angehörige der Todesopfer besuchen das Tschernobyl-Memorial in Kiew

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Das Radarsystem "Duga", nahe des Kraftwerks

Mittlerweile entwickelte sich der Geheimtipp für "Dark Tourists" zu einer der größten Touristenattraktionen der Ukraine: "2014 haben weniger als 7.000 Leute die Sperrzone besucht. 2018 waren es zehnmal so viele, 70.000", sagt Tschernobyl-Tour-Guide Gerrit Schmitz dem KURIER. Er bietet Reisen über das Unternehmen "TschernobylReisen" an. Eine Tagestour kostet etwa 150 Euro.

Die Anzahl der Buchungen steige stetig: "Dieses Jahr gab es Tage, an denen über 1000 Personen die Sperrzone besucht haben", berichtet Schmitz. Neben der Berichterstattung über Tschernobyl-Tourismus dürfte der aktuelle Hype noch einen weiteren Auslöser haben. Die HBO-Serie "Chernobyl", die vom 6. Mai bis 3. Juni ausgestrahlt wurde, entpuppte sich als Riesenerfolg.

Schaurige Serie, hart an der Realität

Eine düstere Atmosphäre, eingebettet in Geigerzähler-Klänge, zog die Besucher in ihren Bann. Historisch relativ detailgetreu, spart die Serie nicht mit Fachjargon. Die schonungslose Aufarbeitung der Fehlerkette und die fatale Nachrichtensperre der Sowjetunion nach dem Reaktorunglück genügen als Spannungsbogen. Die Serie identifiziert Helden - wie den Wissenschafter Valery Legasov - im Kampf gegen einen stolzen Staat, der die katastrophale Realität bewusst verschweigt.

Die Sowjetunion sah ihren Status als Atommacht gefährdet. Der damalige Generalsekretär des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei der Sowjetunion, Michail Gorbatschow, schrieb 2006 in der Welt: "Die Reaktor-Katastrophe war für den Zerfall der Sowjetunion entscheidender als die Perestroika."

Irgendwo zwischen nackten Tunnelgräbern und einer knapp vereitelten Mega-Folge-Explosion, die halb Europa vernichtet hätte, schwindelt sich dann doch etwas Fiktion in die historische Präzision der HBO-Serie. Dennoch bemerkenswert: Drehbuchautor Craig Mazin wurde zuvor mit Komödien wie Scary Movie III, Scary Movie IV oder The Hangover Part II bekannt. Für realitätsnahen Horror wie in "Chernobyl" ist er also eher nicht berüchtigt. Auf der Filmplattform IMDb wird sein Machwerk mit 9,6 von 10 Punkten bewertet - und gilt damit als beste Serie aller Zeiten.

Influencer entblößen sich

Die Opferzahl des Unglücks kann bis heute nicht klar bemessen werden. Schätzungen mit und ohne Spätfolgen der Strahlung variieren zwischen 4.000 und 1,4 Millionen Toten. Tschernobyl-Reiseveranstalter rufen Touristen dazu auf, sich in der Sperrzone dementsprechend anständig zu verhalten.

Doch vor allem Influencer nutzen das gruselige Ambiente für Fotos und Videos, wo sie unangebrachte Posen und nackte Haut zeigen.

Ein Umstand, der Schmitz aufregt: "TschernobylReisen distanziert sich von solchen Aktionen. Wir zeigen den Leuten gerne in aller Ausführlichkeit die Sperrzone, jedoch erwarten wir auch einen gewissen Respekt der Besucher gegenüber der Zone, den Opfern, den noch heute dortigen Arbeitern und noch lebenden Leuten."

Anbieter profitieren von fragwürdigem Hype

Dass er als Reiseanbieter für Tschernobyl-Trips auf einem schmalen Grat wandelt und von dem Hype profitiert, ist allerdings auch Schmitz bewusst: "Würde keiner darüber berichten, dann sähe die Zone weiterhin so leer aus, wie vor fünf Jahren."

Gesundheitlich gilt ein Kurzbesuch im Übrigen als unbedenklich: Wer sich an die Regeln der Veranstalter hält, ist innerhalb der Sperrzone keiner größeren Strahlung ausgesetzt, als auf einem Kurzstreckenflug.

Dennoch werden Touristen nach dem Besuch auf mögliche Kontamination untersucht. Tschernobyl-Tourismus wird vielleicht nicht sonderlich aggressiv beworben, doch ohne Inszenierung, Schauergeschichten und Gruselserie wäre er sicherlich nur halb so spannend.

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