"Trost-Tiere" in Flugzeugen werden zu einem echten Problem
Cindy Torok verstand die Welt nicht mehr, als sie von Orlando heim nach Cleveland fliegen sollte – ohne ihre geliebte "Daisy" auf dem Schoß. Obwohl ihr Psychologe in einem Attest geschrieben hatte, dass gegen die seelischen Verwerfungen seiner Patientin nur Daisys stimmungsaufhellende Präsenz hilft, lehnte die Fluglinie Frontier die Mitnahme der zierlichen Eichhörnchen-Dame in der Kabine ab. Wer weiß, dachte sich das Unternehmen, was der kleine Nager über den Wolken aus Langeweile alles anknabbern könnte. Die schräge Episode ist kein Einzelfall.
Immer öfter lassen sich psychisch labile Amerikaner von ihrem Doktor animalischen Beistand gegen Flugangst, Depressionen, posttraumatische Belastungsstörungen (PTSD) und andere Gebrechen verordnen.
Was dazu führt, dass plötzlich – nicht zu verwechseln mit speziell ausgebildeten Blinden- und Therapiehunden – allerlei unkonventionelles Begleitgetier als sogenannte „Emotional Support Animals“ (E.S.A. – ungefähr: Gefühlsunterstützungskreatur) bei Start und Landung dabei ist: Truthähne, Hasen, Affen, Pfaue, Kröten. Alles schon da gewesen. Und nicht selten zum Verdruss von ängstlichen Sitznachbarn, Allergikern und Flugbegleiterinnen, die vor dem Abheben noch schnell eine ausgebüxte Katze zwischen den Sitzreihen einfangen müssen. Oder ein kleines Hausschwein, dass sich mitten im Gang entleert.
Trost-Tier-Boom
Berichte über Kurioses im Trost-Tier-Boom lockern zwar regelmäßig die Zeitungsspalten auf, haben aber einen seriösen Hintergrund. Während funktionslose Haustiere in der Regel ein Ticket um die 100 Dollar lösen und im Frachtraum transportiert werden müssen, fliegen die E.S.A. kostenlos in der Kabine mit.
Scheinbar amtliche Zertifikate für die Besitzer gibt es für ein paar Dollar im Internet. Das „National Service Animal Registry“, eine Firma, die hier kommerziell sehr einträglich unterwegs ist, hatte 2011 rund 2.500 registrierte Tiere. Stand Juni dieses Jahres waren es bereits fast 200.000.
Aus Angst, der Diskriminierung geziehen und mit teuren Schadensersatzklagen überzogen zu werden, verzichteten viele Airlines bisher darauf, die Seriosität der Beglaubigung oder den Nachweis der tierischen Heilkraft sorgfältig zu prüfen. Inzwischen hat ein Sinneswandel eingesetzt, der mit der Zahl der Tier-Transporte zu erklären ist.
American Airlines etwa beförderte zuletzt im Jahr rund 150.000 „Emotional Support Animals“. Aber nur 50.000 offizielle Blinden- und Therapie-Hunde. Zwischenfälle inklusive.
Auf einem Delta-Flug biss ein schokoladenfarbener Labrador einem Mitpassagier so übel ins Gesicht, dass der Mann 28-mal genäht werden musste. Der „Unterstützer-Hund“ gehörte einem Armee-Veteranen, der das Tier als „sicher“ bezeichnet und nicht mal ordentlich angeleint hatte. Seither verlangt die Fluggesellschaft aussagekräftige Dokumente, wenn jemand einen nicht ausgebildeten Therapiehund mit an Bord bringen will. Konkurrent United Airlines will nur noch Hunde und Katzen als „Support Animals“ akzeptieren. Ausfluss eines Streits, bei dem einer Kundin im Jänner die Sitznachbarschaft ihres Pfaus verwehrt wurde.
Politisch justieren zudem inzwischen 24 von 50 Bundesstaaten gesetzlich nach. Wer über die anti-depressive, therapeutische Wirkung seines Unterstützer-Tieres und Unbedenklichkeit für Dritte falsche Angaben macht, fällt etwa im Mormonen-Bundesstaat Utah unter das Strafrecht.
Unterdessen geht am Boden die Debatte über die Wirksamkeit der E.S.A.-Tiere weiter.
Alligator Wally
Zeitgenossen wie Joie Henney aus York/Pennsylvania oder Vayne Myers aus Tampa/Florida schwören Stein auf Bein, dass sie es mit ihren tierischen Freunden besonders gut angetroffen haben. Henney, ein Rentner, der früher als Jäger reihenweise Tiere erlegte, lässt sich seine Depressionen inzwischen von „Wally“ wegatmen. Der 1,50 Meter lange Alligator, der wie ein gewöhnliches Haustier an der Leine mit auf die Straße und in den Supermarkt genommen wird, hat auf den weißhaarigen Mann eine so beruhigende Wirkung, dass sein Arzt die Rezepte für einschlägige Chemie-Cocktails wegließ und „Wally“ als „Emotional Support Animal“ beglaubigte. Seither ist Henney in Schulen, Seniorenheimen oder bei Baseball-Spielen mit seinem Reptil ein gern gesehener Gast. „Er hat noch nie jemanden gebissen und will nur gestreichelt werden.“
Vayne Myers wiederum, der beruflich bei Starbucks Kaffee ausschenkt, hat das Verwendungsspektrum von Peking-Enten erweitert. Um seine seit Kindheit bestehenden Angstanfälle und Unsicherheitsgefühle zu überwinden, hat sich der 26-jährige „Primadonna“ zugelegt. Die flauschig-weiße Ente ist sein ärztlich verordnetes Haustier. Und plötzlich hat das Wort Quacksalber eine ganze neue Bedeutung…
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