"Keine Selfies!" Barcelona sagt der Selbstinszenierung den Kampf an

"Keine Selfies!" Barcelona sagt der Selbstinszenierung den Kampf an
Immer mehr Orte verhängen Schnappschuss-Verbote, darunter auch die katalanische Hauptstadt, die seit Jahren unter den Touristenmassen ächzt.

Der TikToker hat einen Trick. Statt wie Normalsterbliche die Sagrada Familia von der Straße aus zu fotografieren, begibt er sich in den U-Bahn-Ausgang vor der berühmten Kirche in Barcelona. Das Handy stellt er vor sich auf die Rolltreppe, lehnt es an die obere Stufe. Die Kamera ist auf ihn gerichtet. Während er die Treppe hinauffährt, wachsen hinter ihm die Türme von Antonio Gaudís Meisterwerk in den Himmel. Voilà: Das perfekte Selfievideo ist gedreht - für seine Follower ist es gleichzeitig eine Anleitung für die eigene Barcelona-Inszenierung.

In den sozialen Netzwerken hat der Kniff längst die Runde gemacht. Unzählige Videos zeigen, wie junge Menschen auf der U-Bahn-Rolltreppe posieren, Selfie-Sticks in die Luft strecken - und sich vor Sicherheitskräften verstecken. Die haben es auf die Selfie-Jäger abgesehen. Seit Anfang April ist das Fotografieren auf den Rolltreppen vor der berühmten Kirche nämlich streng verboten. Die Betreiber des öffentlichen Nahverkehrs hatten zuvor auf Sicherheitsbedenken hingewiesen. Vor den Rolltreppen hatten sich lange Schlangen gebildet. Zeitweise war der U-Bahn-Aufgang sogar komplett blockiert. 

Achtung, Einklemmgefahr!

Der Andrang war dermaßen groß, dass eigenes Sicherheitspersonal, das über die Selfie-Sperre wacht, her musste. "Einklemmgefahr - keine Fotos oder Videos auf der Rolltreppe machen", warnen mehrsprachige Plakate. Schwere Unfälle habe es zwar noch nicht gegeben. "Aber man kann sich die Finger einklemmen, wenn man das Handy von der Stufe nimmt, oder sich beim Hinsetzen mit der Kleidung in der Rolltreppe verfangen", erklärt ein Sicherheitsmann gegenüber spanischen Medien. 

Vor allem aber ist das Verbot wohl Teil des Versuchs, die Stadt von den Touristenmassen zurückzuerobern, unter denen sie seit Jahren ächzt. Mehr als 12 Millionen Touristen besuchten Barcelona im Vorjahr.  Die durchschnittliche Touristendichte in der Stadt liegt bei 3.854 pro Quadratkilometer. In der Ciutat Vella, dem historischen Zentrum, sind es fünfmal so viele. Nachdem die Proteste immer lauter geworden waren, suchen die Behörden nach Wegen, die Einwohner stärker vor den negativen Auswirkungen des Tourismus zu schützen, ohne die Einnahmen aus dem wichtigen Wirtschaftszweig zu schmälern. 14 Prozent erwirtschaftet Barcelona allein in diesem Sektor. Der Tourismus gibt in der Stadt 150.000 Menschen eine Arbeit.

Waghalsige Manöver

Bereits vor zwei Jahren hat die Stadtverwaltung strengere Maßnahmen ergriffen, um den Tourismus einzudämmen. Reisegruppen wurden eingeschränkt, Megaphone verboten. In einigen Stadtteilen gibt es Einbahnstraßenregelungen für Reisegruppen, um Passanten nicht den Weg zu versperren. Das Sicherheitspersonal der Stadt kann ein Lied davon singen. Zur Weihnachtszeit hätten sich Touristen mitten auf den Passeig de Gràcia gelegt, um ein Foto mit der Weihnachtsbeleuchtung auf dem Prachtboulevard zu ergattern, erzählt ein Sicherheitsbeamter. Die Polizei musste daraufhin den Bereich mit Absperrbändern sichern. Wieder andere ließen sich für den perfekten Schnappschuss zu waghalsigen Manövern auf den Bunkers del Carmel, einem bekannten Aussichtspunkt, hinreißen - bis die Polizei auch diesem Trend ein Ende setzte.

Als Vorbild für Barcelonas Selfie-Bann dürfte die nordspanische Stadt Pamplona gedient haben. Dort gilt während des berühmten Stiertreibens ein derartiges Verbot. Und auch Touri-Hotspots in anderen Ländern sahen sich zu ähnlichen Regeln veranlasst. Zum Beispiel der überlaufene Badeort Portofino an der ligurischen Küste. Aber auch der südfranzösische Strand von La Garoupe, Lake Tahoe in Kalifornien und Nevada oder das indische Hippie-Mekka Goa.

Warten, bis der Sicherheitsmann Pause macht

Das Problem: Ist die Selfie-Sperre erst einmal eingeführt, lässt sie sich oft nur schwer kontrollieren. Die Sicherheitskräfte in Barcelona jedenfalls nehmen das Problem ernst. Sie positionieren sich nicht nur am Anfang und Ende der Rolltreppe, sondern auch auf mittlerer Strecke, um Selfie-wütigen Touristen Einhalt zu gebieten. Sie passen Passanten mit Selfie-Sticks ab, rufen im Zwei-Minuten-Takt Lady, please no pictures! Auch die Touristen werden immer gefinkelter. Jeder Schichtwechsel, jede Unaufmerksamkeit des Sicherheitspersonals wird für eine Aufnahme auf der Rolltreppe genutzt. "Die hören einfach nicht zu", beschwert sich ein Mitarbeiter. 

Eine andere Lösung könnte das nahe gelegene Viertel La Salut bieten, in dem sich Gaudís Park Güell befindet, nach der Sagrada Familia die meistbesuchte Sehenswürdigkeit der Stadt. Weil die Touristen eine lokale Buslinie dorthin derart überfüllten - und Einheimische die öffentlichen Verkehrsmittel kaum noch nutzen konnten - ließ die Stadtverwaltung sie kurzerhand aus Google und Apple Maps entfernen. Die U-Bahn-Rolltreppe vor der Sagrada Familia ist zwar noch online zu sehen. Da sich die Touristen aber nicht abschrecken ließen, wurde sie teilweise stillgelegt. Vielleicht, so scherzt ein Einheimischer, könnte man in Zukunft ja einfach die Sagrada Familia einfach aus Google Maps löschen.

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