Wenn Tiere im Sommer die Saure-Gurken-Zeit versüßen
Auch wenn die Berliner Löwin eine Wildsau sein soll, die Tradition der Sommerloch-Tiere bleibt. Von Kuh Yvonne bis Braunbär Bruno. Warum sie faszinieren.
So spektakulär alles begonnen hatte, so abrupt endete die Geschichte wieder. Jene herumstreunende Löwin, die die Medienwelt in Schach hielt, soll am Ende doch nur eine Wildsau gewesen sein.
Die einen, vor allem jene aus der betroffenen Wohngegend, werden aufgeatmet haben. Die anderen, die das Ganze aus sicherer Entfernung betrachtet haben, werden enttäuscht sein. Aber egal, ob ein ausgebüxter Beutegreifer oder ein ordinäres Schwarzwild, von dem es in und um Berlin eine ganze Menge gibt: Die Tradition des Sommerloch-Tiers bleibt auch in dieser Saison erhalten.
Regelmäßig tauchen in Medien im harmlosen Fall mehr oder weniger spektakuläre Wesen auf Freigang auf. Im gefährlicheren sind es Wildtiere, die Menschen zu nahe kommen. Die Gründe dafür sind sind vielfältig.
Fadesse und tolle Story
Erstens liegt das natürlich an der Saure-Gurken-Zeit. Zweitens ist die Geschichte oft einfach zu gut. „Eine Schildkröte taucht auf. Ein Kind wird verletzt. Die Jagd beginnt. Erste Experten melden sich zu Wort. Man könnte darüber fast einen Spielfilm drehen“, sagte der deutsche Medienpsychologe Frank Schwab der Welt, als die bissige Alligatorschildkröte Lotti ihr Unwesen in einem schwäbischen Teich trieb. Und mit Info-Schnipseln lässt sich eine Story wunderbar am Köcheln halten.
Menschen nehmen das dankbar auf – und das schon eine ganze Weile. Als Mutter aller Sommerloch-Tiere gilt gemeinhin just ein Ungeheuer vom Loch – vom Loch Ness. Nessie schaffte es im Sommer 1933 erstmals in die Zeitungen. Die heiße Saison ist auf jeden Fall prädestiniert dafür – denn da kann Menschen schon mal langweilig werden: „Wenn Sie sich im Urlaub entspannen, ertappen Sie sich nach einigen Tagen bei dem Gedanken, es könnte mal wieder was passieren“, meinte Schwab.
Dazu würden die Nachrichten auch das Bedürfnis nach Small Talk befriedigen. „Jeder kann mitreden. Das Thema ist unverfänglich.“ Und tatsächlich, es gibt kaum eine Person, die nicht über den Berliner Fall gesprochen hat – sei es im Freundeskreis oder in der Kantine.
Lieb oder gefährlich
Aber eigentlich ist es gleich, um welches Tier es sich handelt, damit es überregional bekannt wird. „Entweder sind die Tiere unheimlich putzig wie die Kuh, die plötzlich ausbüxt. Da ist ein Bruch, der sich für so eine Geschichte wunderbar eignet“, erklärte Schwab. Und zwar 99 Tage lang: Kuh Yvonne aus Österreich war ihrem neuen Besitzer 2011 in Bayern ausgekommen und ließ sich lange nicht bezirzen noch einfangen. Medien bezeichneten sie daher lieb als „Kuh, die ein Reh sein will“. Weniger nette verpassten ihr den Namen „Psychokuh.“ Unter die Kategorie putzig fallen auch Lamas, Pinguine oder Kängurus, die in Österreich immer wieder durch die Wiesen hoppeln – von wegen „No Kangaroos in Austria“.
Dann gibt es bedrohlich wirkende Tiere, die wegen ihrer Größe nicht gefährlich werden können. Darunter fallen wohl Hechte und Welse, die in Teichen und Seen Schwimmer beißen und mitunter auch Phantom-Krokodile, deren Nicht-Existenz öfter bewiesen wird als ihre Existenz. Oder der 1,6 Meter lange Albino-Netzpython, der 2021 einen Grazer in die Genitalien zwickte, als er auf der Toilette saß.
Aber natürlich sind auch Exemplare unterwegs, die wohl deshalb faszinieren, weil sie auch wirklich gefährlich werden können. Braunbär Bruno etwa. Er trieb sich 2006 zwischen Tirol und Bayern herum. Dort kam er in menschliche Siedlungen. Finnische Bärenjäger sollten ihn daher fangen – und jagten ihm mit Betäubungsgewehren hinterher. Doch der Bär schien ein schlauer Fuchs zu sein und ließ sich nicht erwischen. Die Finnen reisten ohne Erfolg ab.
Bruno badete kurz darauf seelenruhig in einem Teich, während Mountainbiker an ihm vorbeifuhren. Das Tier wurde zum Abschuss freigegeben. Heute steht der Bär ausgestopft in München.
Kommentare