Soll man auf Zootiere schießen, Herr Pechlaner?
Helmut Pechlaner war von 1992 bis 2007 Direktor des Tiergarten Schönbrunn. Er hat am eigenen Leib erfahren, wie es ist, wenn ein gefährliches Tier angreift: Beim Versuch, einer Pflegerin zu helfen, attackierte ihn ein Jaguar selbst. Seine Waffe: Ein Wasserschlauch. Wie sieht er die Debatte um die Waffenwünsche seines Nach-Nachfolgers Stephan Hering-Hagenbeck?
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KURIER: Sie haben selbst zwei Todesfälle im Tiergarten Schönbrunn erlebt. 2002 starb eine Pflegerin durch die Attacke eines Jaguars, 2005 wurde ein Pfleger wurde von einem Elefanten getötet. Hätten Schusswaffen da etwas geändert?
Helmut Pechlaner: Zunächst einmal: Beide Fälle sind unvergleichlich und in beiden Fällen lag menschliches Versagen zugrunde, das durch dritte in keinem Fall zu verhindern gewesen wäre.
Wieso?
Die Jaguar-Pflegerin hatte ihren Schlüssel im Gehege vergessen, nachdem sie Futter dort platziert hatte. In der Zwischenzeit hatte sie aber den Schuber zum Außengehege wieder geöffnet, wo die Jaguare waren. Sie ist noch einmal schnell hinein, ohne ihn zu schließen. Dabei sind die Tiere hereingekommen und haben sie geschnappt.
Sie sind damals selbst in das Gehege gegangen, um die Wildkatzen zu verscheuchen. Dabei haben Sie schwere Verletzungen an der Hand erlitten. Wie gingen Sie vor?
Ich bin im Pavillon gesessen und habe ein Interview mit (KURIER-Autor, Anm.) Georg Markus geführt, als ein Besucher schreckensbleich gekommen ist und gesagt hat: "Kommen Sie schnell, da ist etwas passiert“. Als ich dort war, habe ich gesehen, dass die Tür vom Gehege zum Vorraum des Geheges offen war. Ich bin hinein und habe versucht, die Tür zuzustoßen, allerdings funktionierte das nicht ganz, weil Rindenmulch dazwischen lag. Mit der linken Hand habe ich also die Tür zugedrückt und mit der rechten einen Jaguar durch den Spalt mit einem Schlauch angespritzt, um ihn von der Frau zu vertreiben. Der griff aber an und hat mit der Pranke meine Hand erwischt. Ein Kollege, der dazukam, hatte eine Pistole bei sich und gab einen Schreckschuss ab. Das hat die Tiere vertrieben. Für die Pflegerin kam leider jede Hilfe zu spät.
Seine Ära hat den Tiergarten Schönbrunn wohl mehr geprägt, als jeder andere Direktor zuvor. Als Helmut Pechlaner Ende 2006 seine Funktion zurücklegte, hatte er sein Ziel, das er anlässlich seiner Bestellung am 1. Jänner 1992 formulierte, wohl erreicht: "Die Tiere sollen keine Gefangenen, sondern Grundbesitzer sein."
Als Direktor des damals neu aus dem Bund ausgegliederten Wiener Tiergartens Schönbrunn verwandelte der am 17. August 1946 in Innsbruck geborene Pechlaner den Zoo in kürzester Zeit in einen Publikumsmagneten. Er sorgte für Sponsoren und den Umbau der barocken Gehege, die erst dadurch eine artgerechte Haltung ermöglichten.
Unmittelbar nach seinem Antreten krempelte der Tiroler den Betrieb gründlich um und modernisierte den ältesten Tiergarten der Welt. Innerhalb einer Dekade gelang es ihm, die Besucherzahlen von 700.000 auf rund 1,7 Millionen jährlich zu steigern.
Die Einnahmen und Spenden stiegen bereits in den ersten Jahren um ein Vielfaches, Pechlaner konnte zudem zahlreiche Sponsoren dazu bewegen, Einrichtungen für die Tiere zu finanzieren. Unter seiner Leitung wurde so unter anderem ein neues Elefantenhaus geschaffen. Mit mehr Platz und artgerechter Ausgestaltung ergab sich dadurch die Möglichkeit für die Zucht der Dickhäuter.
Den Grundstein für seinen beruflichen Werdegang mit Tieren legte Pechlaner schon in seiner Jugend, als er bei Konrad Lorenz in Seewiesen als Ferialpraktikant arbeitete. Das veterinärmedizinische Studium schaffte er in Rekordzeit, 1972 avancierte er zum stellvertretenden Direktor des Innsbrucker Alpenzoos, den er ab 1979 als wissenschaftlicher und kaufmännischer Direktor bis zu seinem beruflichen Wechsel nach Wien leitete.
Der Mitarbeiter hatte eine scharfe Waffe?
Er hatte privat den Waffenschein und die Waffe dabei.
Der zweite tödliche Unfall ereignete sich drei Jahre später im Elefantengehege. Auch hier kam ein Pfleger zu Tode, als er bei dem Jungtier Abu war.
Auch das war fürchterliches menschliches Versagen. Man hat laut Vorschrift nur zu zweit an den Elefanten gearbeitet. Er hat gegen jegliche Vorschrift den zweiten weggeschickt und allein versucht, dem Elefanten Blut abzunehmen. Das schließen wir daraus, weil eine zertretene Spritze am Boden gelegen ist.
Hätten Sie selbst gern eine Waffe getragen?
Ich bin kein Waffennarr. Ich war beim Bundesheer, habe mich aber schnell zur Brieftaubenstation versetzen lassen. Ich habe das Vaterland also mit Brieftauben verteidigt (lacht). Im Ernst: Wir haben im Tiergarten eine tierärztliche Ordination gegründet, die nicht nur mit Narkosewaffen, Blasrohr etc. ausgerüstet ist, sondern auch mit scharfen Waffen.
Für wen sind diese bestimmt?
Es gibt Tierärzte, die vertraglich verpflichtet sind, auch in der Nacht anwesend zu sein. Die haben die Möglichkeit, einzugreifen. Sie haben alle einen Waffenschein und wären verpflichtet, bei einem Notfall einzugreifen.
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Der amtierende Tiergartendirektor Stephan Hering-Hagenbeck ist selbst Jäger. Verstehen Sie, dass er sich selbst um Waffen bemüht?
Es gibt einige Tiergartendirektoren, die Jäger sind. Die Jagd ist notwendig und unverzichtbar. Er hat natürlich eine ganz andere Nähe dazu und weiß, wie eine Waffe funktioniert. Ich weiß aber ehrlich gesagt nicht, wie er sich das praktisch vorstellt: Er ist ja nicht ständig vor Ort. Als die Sache mit dem Elefanten passiert ist, war ich beispielsweise gerade mit dem Aufsichtsrat des Tiergartens auf einer Reise in der Schweiz.
Warum benutzt man eigentlich nicht ein Betäubungsgewehr, wenn ein Tier angreift?
Das wäre die logische und einfachere Variante. Das würden die Tierärzte auch machen. Allerdings: Die Waffe muss ich erst laden, die Dosis des Narkosemittels berechnen, dann einfüllen, etc.. Wenn ich ihn gut treffe, dauert es zehn Minuten. Wenn es eine kritische Situation ist, die wir nie hatten, wird man wahrscheinlich scharf schießen müssen.
Man könnte auch einwenden: Die Gehege sollten einfach sicher genug sein, um einen Ausbruch oder eine Befreiung von Tieren durch Aktivisten zu verhindern.
Darauf habe ich viel Wert gelegt. Die Tiere sind ja alle über Nacht im Innenraum. Da habe ich es als Einbrecher sehr schwer, die herauszuholen: Schwere Tore und Schuber sind dazwischen. Denkbar wäre höchstens, dass ein Baum umfällt und den Zaun bei den Wölfen beschädigt. Aber die sind so geschockt, dass sie nicht mehr in ihrem gesicherten Bereich sind, da hätte man genug Zeit, alle hinauszuschicken und den Tierarzt mit dem Narkosepfeil zu holen.
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