Frankreich: Prozessauftakt um Mord an Geschichtslehrer Samuel Paty
Der Mord am Lehrer Samuel Paty im Oktober 2020 gehört zu den Terrorfällen der letzten Jahre, die Frankreich besonders erschüttert haben. Der Geschichtslehrer an einer Mittelschule in Conflans-Saint-Honorine nordwestlich von Paris wollte sich gerade auf den Heimweg machen, als er von dem 18-jährigen Abdoullakh Anzorov, einem Flüchtling mit russisch-tschetschenischen Wurzeln, mit einem Messer angegriffen wurde.
Der Täter enthauptete sein Opfer und stellte ein Foto von dessen Kopf ins Internet. Kurz darauf erschoss die Polizei den Mörder. Auf Paty aufmerksam geworden war Anzorov durch eine Hetzkampagne im Internet, gestartet durch den Vater einer Schülerin. Der Lehrer hatte in einer Unterrichtsstunde zum Thema Meinungsfreiheit Mohammed-Karikaturen gezeigt und war so zur Zielscheibe von Islamisten geworden.
Es drohen lebenslängliche Strafen
Gegen acht mutmaßliche Unterstützer Anzorovs begann am Montag vor einem Sonderschwurgericht in Paris der Prozess. Zu ihnen gehören zwei Männer, die ihn beim Waffenkauf begleiteten und von denen ihn einer von ihrer Heimatstadt Évreux in der Normandie zum Tatort fuhr. Ihnen drohen lebenslängliche Strafen wegen der Zugehörigkeit zu einer terroristischen Gruppe. Auf der Anklagebank sitzt auch eine Frau, die den Täter möglicherweise virtuell ermutigt haben soll, da sie in engem Austausch mit ihm stand.
Unter den Zivilklägern befinden sich Patys Ex-Freundin, mit der er einen Sohn hatte, seine Eltern und Schwestern. Für sie handle es sich trotz der Abwesenheit des Mörders um einen sehr wichtigen Prozess, sagte eine der beiden, Gaëlle Paty, vorab. „Ich will den Angeklagten sagen, dass Samuel ohne sie noch am Leben wäre und dass sie genauso verantwortlich sind wie die, die Waffen trugen.“
Symbolkraft
Der Mord an dem 47-Jährigen schockierte aufgrund der extremen Grausamkeit, aber auch der großen Symbolkraft: Im laizistischen Frankreich gilt im öffentlichen Raum die strikte Trennung von Staat und Religion, in Schulen sind keine religiösen Symbole erlaubt. In seiner Stunde mit dem Titel „Dilemma-Situation: Charlie sein oder nicht sein“ bezog sich Paty auf die Mohammed-Karikaturen in der Satirezeitschrift „Charlie Hebdo“, deren Zeichner im Januar 2015 Ziel eines islamistischen Anschlags wurden. Das Schlagwort „Ich bin Charlie“ ging damals um die Welt.
Paty hatte in der Stunde den muslimischen Schülern angeboten wegzuschauen, falls die Darstellungen des Propheten sie verletzten. Eine 13-Jährige war zwar an jenem Tag gar nicht in der Schule. Doch um ihr Fehlen zu rechtfertigen, log sie gegenüber ihrem Vater, Brahim Chnina, der Lehrer habe sie weggeschickt. Erzürnt beschwerte sich dieser in Begleitung eines polizeibekannten islamistischen Aktivisten bei der Schuldirektorin und bezichtigte Paty in Videos als „Mistkerl“, der bestraft werden müsse. Beiden Männern drohen bis zu 30 Jahre Haft. Bei einem ersten Prozess gegen sechs Minderjährige im vergangenen Dezember wurde Chninas Tochter zu einer 18-monatigen Bewährungsstrafe verurteilt. Auch die Jugendlichen, die den Lehrer verraten hatten, erhielten bis auf eine Ausnahme Bewährungsstrafen.
Patys Angehörige sehen außerdem eine Mitschuld bei den Schulbehörden und dem Staat und haben eine Klage gegen das Innen- und das Erziehungsministerium unter anderem wegen unterlassener Hilfeleistung eingereicht. Der Lehrer wusste sich bedroht, hatte Anzeige erstattet, das Kollegium per Mail informiert. Konkrete Hilfe für ihn blieb aus.
Fast auf den Tag genau drei Jahre nach dem Mord wurde der Geschichtslehrer Dominique Bernard von einem jungen Islamisten im nordfranzösischen Arras getötet – ein weiterer Fall, der das Land entsetzte. Zum Jahrestag im Oktober gab es eine Gedenkveranstaltung für beide Männer. Die Schule in Conflans-Sainte-Honorine wird im Frühjahr umbenannt in „Collège Samuel Paty“. Der Prozess soll bis 20. Dezember dauern.
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