"Atmosphäre des Schreckens": 2.400 Missbrauchsfälle an katholischen Schulen in Irland aufgedeckt

Katholische Schule
884 verschiedene mutmaßliche Täter wurden in Tages- und Internatsschulen identifiziert. Viele der Opfer berichten von langfristigen psychischen Problemen.

„Einige der schrecklichsten Berichte über sexuellen Missbrauch“ - so bezeichnete die irische Bildungsministerin Norma Foley die Inhalte eines Dokuments, das in ihrem Land für Bestürzung sorgt. Eine von der Regierung in Auftrag gegebene, vorläufige Untersuchung ergab fast 2.400 Missbrauchsvorwürfe, die sich auf vergangene, mutmaßliche Taten an Hunderten von katholischen Orden betriebenen Schulen beziehen. Eine große Anzahl der Anschuldigungen, 590, bezieht sich auf Sonderschulen.

Die meisten Personen, die im Zuge der Untersuchung befragt wurden, sind heute 50- bis 70-jährige Männer. Sie beschrieben demnach, wie sie „in einer Atmosphäre des Schreckens und Schweigens“ als Schüler belästigt, nackt ausgezogen und unter Drogen gesetzt wurden.

Sie hätten von „entsetzlichem sexuellem Missbrauch berichtet“, so das Dokument. Die grausamen Taten wurden demnach an unterschiedlichen Orten, darunter in Klassenzimmern, Schlafsälen, Sportanlagen und bei außerschulischen Aktivitäten, durchgeführt, aber auch in privaten Wohnräumen und Büros des Schulpersonals und der Ordensmitglieder.

Manche erzählten, vor anderen Kindern oder Erwachsenen missbraucht worden zu sein. Auch Besucher der Schulen seien Täter gewesen. In vielen Fällen dürfte der Missbrauch fortlaufend und von „grausamer Gewalt“ begleitet gewesen sein, so der Bericht.

Suchtprobleme und Selbstmordversuche

Die Untersuchung stellte außerdem fest, dass einige der Befragten später mit Suchtkrankheiten zu kämpfen hatten und Selbstmordversuche begingen. Mehrere erzählten von langfristigen psychischen Problemen. Manche gaben an, als Erwachsene übermäßig viel gearbeitet zu haben, um sich nicht mit ihren Kindheitstraumata auseinandersetzen zu müssen. 

So seien sie zum Teil zwar karrieremäßig erfolgreich gewesen, hätten sich aber mit engen persönlichen Beziehungen sehr schwergetan. Auch Ehen seien daran zerbrochen. Ein paar sagten, sie wollten aufgrund der schrecklichen Erlebnisse nie Kinder haben. Oder diese hätten die Beziehung zu ihren Kindern beeinflusst.

Andere wiederum hätten sich derart von Religion und Kirche entfremdet, dass sie die Beerdigungen ihrer Eltern und anderer Familienmitglieder meiden mussten, „weil sie keine Kirche betreten konnten“.

Die vorläufige Untersuchung wurde 2022 eingeleitet, nachdem eine Radiodokumentation über historische Missbrauchsvorwürfe an einem bekannten Dubliner College berichtet hatte. Zahlreiche weitere ehemalige Schüler erhoben daraufhin Vorwürfe. Der römisch-katholische Spiritaner-Orden, der die Schule betreibt, entschuldigte sich öffentlich. Es kam auch zu Anschuldigungen gegen andere Orden, die Jesuiten und die Barmherzigen Schwestern etwa.

Noch eine Untersuchung

Die irische Regierung will nun eine gesetzliche Untersuchung mit weitreichenden Befugnissen für die Kommission an Schulen durchführen. Womöglich geht sie über katholische Einrichtungen hinaus und untersucht auch andere Schulen im Land.

Philip Feddis - er ist Mitbegründer einer Gruppe, die Missbrauchsopfer an Spiritaner-Schulen vertritt - zeigte sich am Dienstagabend in einem TV-Interview besorgt, dass die neue Untersuchung zu lange dauern könnte: „Es ist wirklich wichtig, dass Maßnahmen, Unterstützung, Therapie und Beratung sofort zur Verfügung gestellt werden und wir nicht auf eine weitere Untersuchung warten müssen.“

Die Untersuchungskommission dürfte neue Ergebnisse erst in ein paar Jahren öffentlich machen. Mehr als die Hälfte der über 880 mutmaßlichen Täter ist laut Unterlagen der Orden wohl mittlerweile verstorben.

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