Genitalverstümmelung: Weltweit Hunderte Millionen Frauen betroffen

Mory Bamba, ein muslimischer Religionsführer, der gegen die Beschneidung von Mädchen kämpft, hält am 10. Juli 2024 in seinem Dorf in der Nähe von Touba einen Fetisch, der früher von Beschneiderinnen verwendet wurde.
Die Zahl an Frauen, die von Genitalverstümmelung betroffen sind, nimmt weltweit zu. In einigen Gesellschaften ist sie nach wie vor anerkannte Norm.

Bis zu 170 Dollar, also rund 160 Euro, bekommt man für eine zerriebene Klitoris in Côte d'Ivoire. Das entspricht dem Monatslohn vieler Menschen in dem westafrikanischen Land. Mit den illegal in "Beschneidungszeremonien" von Mädchen entfernten Genitalien werden in mehreren Regionen des westafrikanischen Landes "Liebestränke" oder magische Salben hergestellt. 

Aus umfassenden Interviews, die die Nachrichtenagentur AFP mit ehemaligen Heilern, Beschneiderinnen, Sozialarbeitern, Forschern und NGOs geführt hat, geht hervor, dass es einen florierenden Handel mit weiblichen Genitalien gibt, da diesen eine besondere Kraft zugeschrieben wird.

Heute, 6. Februar, ist Internationaler Tag gegen weibliche Genitalverstümmelung. Der Aktionstag soll auf das Schicksal von Frauen und Mädchen aufmerksam machen, an denen Genitalverstümmelungen (Female Genital Mutilation/Cutting, Abkürzung: FGM/C) vorgenommen wurden oder die davon bedroht sind.

Weltweit gelten mehr als 230 Millionen Mädchen und Frauen an ihren Genitalien verstümmelt. Wobei: Verlässliche Zahlen gibt es nicht. In mehr als 30 Staaten weltweit existiert die grausame Praxis nach wie vor.

Die Zahl der betroffenen Frauen ist zuletzt von 200 auf 230 Millionen gestiegen, wobei mit einer hohen Dunkelziffer zu rechnen ist. Gründe für den Anstieg liegen im Bevölkerungswachstum in jenen Ländern, in denen Genitalverstümmelung weiter praktiziert wird, erklärt Marlene Keller, Referentin bei der Organisation Terre de Femmes.

Bei FGM/C werden Frauen Schamlippen und Klitoris teilweise oder ganz entfernt. Manche der Betroffenen sind erst drei oder vier Jahre alt, die hygienischen Bedingungen häufig unzureichend. Die gesundheitlichen Folgen sind schwerwiegend: Eine Geburt kann für die Frauen später lebensbedrohlich sein.

"Religiöse Reinheit"

In einigen Gemeinschaften ist Genitalverstümmelung nach wie vor soziale Norm. Vielfach wird FGM/C mit "religiöser Reinheit", "religiöser Pflicht" sowie dem Schutz "kultureller Normen und Werte" begründet. Konservative Muslime wollten etwa in Gambia das Verbot von Genitalverstümmelungen im vorigen Jahr aufheben lassen, was durch Proteste aber verhindert werden konnte. 

Doch es gibt auch positive Entwicklungen: Ein Erfolgsmodell ist der Sahel-Staat Niger, der Genitalverstümmelung bereits 2003 unter Strafe stellte. Auch setzten sich Aktivistinnen für ein Ende ein. Das Ergebnis: Laut UNICEF sind dort nur noch zwei Prozent der Frauen betroffen.

Lage in Österreich

In Österreich sind rund 11.000 Mädchen und Frauen Opfer weiblicher Genitalverstümmelung, obwohl FGM/C verboten und unter Strafe gestellt ist. Bis zu 3.000 Mädchen sind darüber hinaus akut gefährdet. Das geht aus einer im Auftrag des Bundeskanzleramts durchgeführten Studie der Medizinischen Universität Wien aus dem Jahr 2022 hervor.

Die Hälfte der Frauen in Österreich, an denen eine Verstümmelung durchgeführt wurde, stammt demnach aus Ägypten, ein weiteres Drittel aus Somalia. Grundsätzlich sind Frauen gefährdet, deren Mütter aus einem Land stammen, in dem FGM/C praktiziert wird. 

Sprachbarrieren und mangelnde Aufklärung im Gesundheitssystem gelten laut erwähnter Studie als die großen Hindernisse in der Prävention und Unterstützung von FGM-Betroffenen. Um betroffenen Frauen effizient helfen zu können, wären somit spezialisierte Ambulanzen notwendig. 

Zentral wäre auch, Frauen zu überzeugen, den Eingriff nicht bei ihren Kindern durchführen zu lassen.

Im Kampf gegen die weibliche Genitalverstümmelung hat das Bundeskanzleramt 2022 eine bundesweite Koordinationsstelle ins Leben gerufen. Der Integrationsfonds (ÖIF) bietet Workshops für potenziell betroffene Frauen, etwa aus Somalia, dem Sudan oder Ägypten, an.

Um die Zahlen verstümmelter Frauen weiter senken zu können, wären laut Keller Gespräche und Aufklärungsarbeit in den jeweiligen Gemeinschaften nötig.

Stadt Wien veröffentlicht neue Handlungsempfehlungen für Ärzte

Die Stadt Wien veröffentlichte zu diesem Anlass neue Handlungsempfehlungen für Ärzte über den Umgang mit FGM-Betroffenen. Die Handlungsempfehlungen enthalten klinisches Know-how rund um Schwangerschaft, Geburt und medizinisches Management von Folgekomplikationen, hieß es in einer Aussendung. Es wird erklärt, welche Fragen im Anamnesegespräch zu stellen sind und warum eine geschulte Dolmetscherin beizuziehen ist. Demnach sind in Wien 6.300 Frauen von Genitalverstümmelung betroffen.

"Genitalverstümmelungen sind Ausdruck geschlechtsspezifischer Gewalt und eine schwere Menschenrechtsverletzung, die entschlossen bekämpft werden muss. Hier darf es keine Toleranz geben", betonte Meri Disoski, Sprecherin der Grünen für Frauen- und Außenpolitik, in einer Aussendung.

"Weibliche Genitalverstümmelung ist immer und überall ein schrecklicher und grausamer Verstoß gegen die Menschenrechte. Betroffene Frauen verdienen ein klares Bekenntnis der politischen Entscheidungsträger:innen, dass sie in ihrer Situation nicht allein gelassen werden," so die Außenpolitische Sprecherin der SPÖ und Gründerin der Plattform StopFGM, Petra Bayr, in einer Aussendung. Sie plädiert für verpflichtende Schulungen für Gesundheits- und Bildungspersonal, die Erweiterung von Beratungsdiensten sowie zielgruppenspezifische Informationskampagnen.

Männer in Aufklärungsarbeit einbeziehen

Bei der Aufklärungsarbeit sei entscheidend, physische und psychische Kurz- und Langzeitfolgen zu thematisieren. "Diese werden oft nicht mit dem Eingriff in Verbindung gebracht." Auch müssten Männer einbezogen werden. "Sie sind oft Entscheidungsträger, aber wenig eingebunden."

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