Von Lara Güven
Zwar sind die 48.000 Orangenbäume der südspanischen Stadt Sevilla zu einer Art Wahrzeichen geworden und ziehen jährlich Tausende von Touristen an. Doch den Einwohnern bereiten sie nicht nur Freude: Die bitteren Früchte fallen auf Köpfe, machen das Autofahren zur Herausforderung, und schmecken tun sie noch dazu auch nicht. Die Engländer machen aus ihnen gerade noch Marmelade, und die Franzosen bringen sie in Cointreau (Likör) unter. Darüber hinaus können viele nichts mit ihnen anfangen – die Zitrusfrucht ist keine Delikatesse.
Trotzdem hat man mehr als 5,7 Millionen Kilo von ihnen, und die muss man wohl verwerten. Dieser Herausforderung stellt sich die spanische Stadt Sevilla seit Hunderten von Jahren. Seit Kurzem scheint es eine Lösung zu geben: Dank einer Initiative des lokalen Wasserversorgungsunternehmens Emasesa wurde die Bitterorange Teil der grünen Energiewende.
Kreative Lösung
2020 startete das andalusische Unternehmen ein Projekt, um aus Bitterorangen saubere Energie für die städtischen Kläranlagen zu schaffen. „Wie gewinnt man Elektrizität aus einer Orange?“, mag nach dem Anfang von einem schlechten Witz klingen, doch die Antwort ist faszinierend und überraschend einfach.
Die gefallenen Orangen werden eingesammelt und fermentiert. Durch den Gärungsprozess werden Methangase freigesetzt, welche einen Motor mit Kraft-Wärme-Kopplung betreiben. Der Leiter der Umweltabteilung Emasesas, Benigno López Villa, erklärt: „Es ist ein Vorgang, der keine Art von Zusatzstoffen benötigt, und es ist ein ökologischer Prozess, der die Kreislaufwirtschaft des städtischen Abfalls schließt. Was auch bedeutet, dass diese Anlage zur Milderung des Klimawandels beiträgt.“
Vorbild für Spanien
Sevillas Bürgermeister Juan Espadas begrüßt das Projekt und zeigt sich voll Stolz: „Emasesa ist jetzt ein Vorbild für Spanien, was Nachhaltigkeit und den Kampf gegen den Klimawandel angeht.“ Der Reduzierung der CO2-Emissionen (Spanien will bis 2050 klimaneutral werden) könne man damit näher kommen.
Die Bitterorange wurde im zehnten Jahrhundert von arabischen Siedlern nach Andalusien gebracht. Seither hat sich die Frucht dem spanischen Klima angepasst. Die Bäume, die sie tragen, sind wetter- und pestresistent, und somit das Nokia 3310 unter Pflanzen. Daher wachsen auf ihnen immer mehr der Zitrusfrüchte: 2020 sind um 37,5 Prozent mehr geerntet worden als im Vorjahr.
Großes Potenzial
Laut Angaben von Emasesa können 1.000 Kilo Orangen 50 Kilowattstunden (kWh) Elektrizität erzeugen und somit den Konsum eines Haushalts für fünf Tage decken. Im Jahr 2021 sind 5,7 Millionen Kilo Bitterorangen allein auf Sevillas Straßen gelandet.
Schafft man es, alle Orangen der Region einzusammeln, könnte man in der Zukunft zumindest in der Ernteperiode Tausende Haushalte versorgen. Um das zu erreichen, bräuchte Emasesa staatliche Hilfe von 250.000 Euro. Das Pilotprojekt wird bereits international gelobt. Süße Neuigkeiten für die bittere Frucht.
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