Groß-Supermärkte am Stadtrand sind in Frankreich seit Jahrzehnten ein Erfolgsmodell. Doch Online-Handel und Discounter sind zur Konkurrenz geworden.
17.06.23, 18:00
aus Paris Simone Weiler
In der Tierfutter-Abteilung treffen sich nicht nur diejenigen häufig, die von dort etwas brauchen. Sondern auch jene, die sich mit anderen austauschen möchten.
Das gilt auch für den Mann, den Annie Ernaux in ihrem Buch "Schau dir die Lichter an, mein Schatz" beschreibt. "Er lächelt, geht ein paar Schritte neben mir", schreibt die französische Literatur-Nobelpreisträgerin darin. Er empfinde "einfach nur das Verlangen, einer unbekannten Frau zu sagen, dass er einen sechs Monate alten Hund hat". Ernaux gilt als meisterhafte Beobachterin von Alltagsszenen, die das Große im Kleinen zu erzählen weiß.
So machte sie den Hypermarkt der Kette Auchan in ihrem Wohnort Cergy, nordwestlich von Paris, sowie die Menschen, die dort einkaufen, arbeiten oder ihre Zeit totschlagen, zum Gegenstand ihres 2014 erschienenen Buches. Denn die Hypermärkte, riesige Supermärkte an den Stadträndern und in Industriegebieten, verraten viel über die Bewohner, ihre Vorlieben und Einkaufsgewohnheiten.
Trend aus den USA
Vor 60 Jahren, im Juni 1963, eröffnete der erste Hypermarkt in Sainte-Geneviève-des-Bois, einem Städtchen mit 36.000 Einwohnern im Süden von Paris. Der Trend kam aus den USA, wo er bereits in den 1930er-Jahren entstand. Nun fanden sich auch in Frankreich erstmals frisches Obst und Gemüse, Kleidung, Haushaltsgeräte und selbst Fahrräder an einem einzigen Ort, damals zunächst auf 2.500 Quadratmetern. 450 Parkplätze standen zur Verfügung.
Inzwischen sind es in Sainte-Geneviève-des-Bois doppelt so viele, und die Einkaufsfläche beträgt 8.400 Quadratmeter. Im Gegensatz zu Einkaufszentren, in denen etliche Marken untergebracht sind, werden Hypermärkte von Handelsriesen wie Leclerc, Carrefour oder Auchan betrieben. Zuletzt sind sie unter Druck geraten. Der zunehmende Online-Handel, ein Trend zu bewussterem Konsumieren sowie Corona-Pandemie und Inflation schwächten sie. 1.036 Hypermärkte gab es im Jahr 2022 in Frankreich, elf weniger als 2019. Der Anteil am Gesamtumsatz aller verkauften Produkte betrug zwar immer noch stolze 39,3 Prozent.
Doch auch hier handelte es sich um einen Rückgang von 3,5 Prozentpunkten. Seit Jahren ist regelmäßig von einem Niedergang die Rede.
Noch lange nicht tot
Trotzdem sagt Raphaël Llorca, der für die Stiftung "Fondation Jean Jaurès" eine Studie zum Thema durchgeführt hat, den Hypermärkten noch gute Zeiten voraus. "Die Einzelhandelsbranche ist mächtiger denn je und hinsichtlich der territorialen Verbreitung Frankreichs Arbeitgeber Nummer eins", so der Experte. Parallel zur Schließung von Fabriken ab den 1970ern seien immer mehr Jobs im Einzelhandel entstanden: "Wir gingen von einer Industrie- in eine Supermarkt-Gesellschaft über."
Der französische Marktführer Leclerc beschäftige in Frankreich mehr Menschen als die Konzerne Airbus, Total und Renault zusammen. Mit regelmäßigen Rabatt-Aktionen reagierten die Hypermärkte zudem auf die gesunkene Kaufkraft und passten sich erfolgreich an neue Situationen an.
Großflächenformate wie jene von Carrefour haben in Österreich keine große Tradition, sagt Christoph Teller, Handelsexperte der Johannes Kepler Universität Linz: "Österreich hat eine hohe Anzahl an mittelgroßen Formaten, insbesondere Supermärkten mit Verkaufsflächen von 800 bis 1.000 Quadratmetern und eine der höchsten Outlet-Dichten international gesehen." Am ehesten vergleichbar ist das Angebot von Carrefour mit jenem von BillaPlus oder Interspar, also den Verbrauchermärkten.
"Diese Konzepte profitieren von der Frequenz, die das Lebensmittelangebot anzieht, und bieten zusätzlich Non-Food-Angebot des kurz und mittelfristigen Bedarfs", sagt Teller. Und wie Kauf- bzw. Warenhäuser kommen sie durch das Online-Angebot unter Druck – siehe Deutschland und Großbritannien. "Online kann das Angebot immer noch großer bzw. breiter und tiefer sein als im Geschäft."
Dennoch ist der Boom des E-Commerce vorerst abgesagt – europaweit. Die Wachstumskurven flachen ab. Der Umkehrschluss, dass die Geschäfte auf der Fläche florieren, stimmt nur bedingt – Stichwort Inflation und Konsumkrise. Teller: "Generell gilt wie überall das Motto 'The winner takes it all'." Die Erfolgreichen werde noch erfolgreicher, weniger bedeutende Unternehmen bzw. Formate fallen weg oder müssen sich neu erfinden.
Discounter-Vormarsch
Allerdings sind die deutschen Discounter Lidl und Aldi auch in Frankreich auf dem Vormarsch und gelten als große Konkurrenz für die Hypermärkte – anders als die kleinen Händler vor Ort: Bäcker, Metzger, Obst- und Gemüseläden. Nach wie vor gehen viele Franzosen regelmäßig zum Käseverkäufer, zur Stammbäckerei oder zum Wochenmarkt – für Qualitätsprodukte geben sie traditionell vergleichsweise viel Geld aus. "Unser Hypermarkt stellt die lokalen Läden in der Stadt nicht in den Schatten, sondern er ergänzt deren Angebot", sagt Lydia Biancardi, die dem Zusammenschluss der städtischen Gewerbetreibenden in Sainte-Geneviève-des-Bois vorsteht.
Der große Vorteil der Hypermärkte besteht darin, ein riesiges Angebot an einem Ort anzubieten. Darauf weist auch das Rentner-Ehepaar Alain und Odile hin, während es Einkäufe in seinen Kofferraum packt. "Wenn ich Schnecken zum Mittagessen will, komme ich hier mit Schnecken raus, während ich bei Lidl nur Sardinen in der Dose finden würde", sagt der 70-Jährige.
Schnecken statt Ölsardinen – ein Grund, warum für ihn der französische Hypermarkt den deutschen Discounter schlägt.
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