von Julia Macher
Ortsbesuch in Barcelona, in einer landesweit bekannten Supermarktkette: Um kurz nach 19 Uhr schieben zwei junge Frauen einen Einkaufswagen in die Obst- und Gemüseabteilung, nehmen eine Ananas aus dem Regal und legen sie umgekehrt in den Wagen. Kichernd knipsen sie ein Selfie von sich und der Frucht. Sie habe den Trend auf Instagram gesehen, sagt eine, und wolle jetzt auch endlich mal ausprobieren, ob es tatsächlich funktioniere. Ein suchender Blick, doch noch ist kein männliches Wesen auf die beiden aufmerksam geworden. Nur der Angestellte des Supermarkts rollt mit den Augen.
Seit Mitte August reüssiert in Spanien der Supermarkt-Besuch als Ersatz-Tinder. Die Ananas, der aphrodisierende Eigenschaften nachgesagt werden, dient dabei als Erkennungsmerkmal. Was sonst noch in den Einkaufswagen kommt, gibt Auskunft über die Intentionen: Wer Interesse an einer langlebigen Beziehung hat, legt Linsen oder andere haltbare Lebensmittel zur Südfrucht. Wer auf der Suche nach Älteren ist, greift zum gut gereiften Manchego-Käse. Schokolade steht für Sehnsucht nach Romantik, Fertig-Pizza für die nach einer kurzen, heißen Nacht. Stimmt der Inhalt eines anderen Wagens mit dem eigenen überein, stößt man die Gefährte kurz aneinander: Match!
Angeblich beste Flirt-Stunde
Losgetreten hat den Trend die andalusische Fernsehkomikerin Vivy Lin. Sie veröffentlichte einen CIip, in dem sie mit einer Kollegin beim Einkaufen über die beste Zeit für die Partnersuche im Supermarkt sinniert. Diese angebliche Flirt-Stunde wiederum geht auf die Teilnehmerin einer Kuppelshow zurück, die bekannte, sie halte um diese Uhrzeit beim Discounter Mercadona Ausschau nach der großen Liebe. Dass dieses Interview bereits sieben Jahre alt ist, tat dem Hype keinen Abbruch.
Mehr als 50 Millionen Mal wurde Lins Video inzwischen geklickt - und hat Dutzende Influencerinnen und Influencer zu einem Selbstversuch inspiriert. Mal stolzieren junge Frauen in Abendrobe durch die Regale, das Smartphone immer im Anschlag. Mal feiert ein angehender Ehemann seinen Junggesellenabschied im Supermarkt und lässt sich verkleidet als Ananas durch die Gänge schieben. Fast alle großen spanischen Medien haben das Thema aufgegriffen - und eigene Reporter in die Supermärkte geschickt. Mit entsprechendem Multiplikatoreneffekt.
Für die spanischen Supermärkte hat das auch in der analogen Welt Folgen. In Bilbao alarmierte ein Filialleiter Ende August die Polizei, weil sich Dutzende Jugendliche zu einem Flash Mob im Supermarkt verabredet hatten. In anderen Städten werden inzwischen die Ananas kurz vor sieben Uhr vorsorglich zurück in den Kühlraum geschoben.
Dabei sind in Spanien längst nicht alle Feuer und Flamme für den Social Media Trend. Der spanische Marktführer steht immer wieder in Kritik. Angestellte seien für gewerkschaftliches Engagement abgestraft worden, berichten spanische Medien. Arbeitsgerichte haben den Discounter wegen Verstößen gegen die Vereinbarkeit von Beruf und Familie abgestraft. Und die Verbraucherschutz-Organisation FACUA kritisiert, dass die Kette trotz der gesetzlich vorgeschriebenen Mehrwertsteuersenkung ihre Gewinne um zuletzt 23 Prozent gesteigert habe. Es sei eine „Schande“, dass große spanische Zeitungen und Fernsehsender nun für den Supermarktgiganten eine kostenlose Werbekampagne führen, so der Wirtschaftsjournalist Yago Álvarez Barba.
Wie effektiv die neue Flirtmethode tatsächlich ist? Das konnten Spaniens Medien noch nicht herausfinden. Ein Paar, dass sein Liebesglück tatsächlich einer umgedrehten Ananas in einem Einkaufswagen verdankt, hat bisher noch niemand interviewt.
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