Sehbehindert und Sprachbarriere: Jaser nahm die doppelte Hürde
Jaser Salimi surft mit einer Geschwindigkeit durchs Internet, die schwindlig macht: "Haben Sie gesehen?", fragt der 21-Jährige, während er mit den Fingern hin und her saust. Auf dem Bildschirm öffnen sich Seiten, Salimi demonstriert, wie er auf Shopping-Homepages etwa nach einem neuen Mobiltelefon suchen würde.
Selbst sehen kann Salimi seine Suchergebnisse nicht, aber ertasten: Er ist seit einem Unfall in der Küche seiner Großmutter, als er noch ein Kind war, nahezu blind.
"Es hat eine Explosion gegeben“, erinnert sich der 21-Jährige, seine Augen wurden massiv verletzt. Doch kurz nach dem Unglück flüchtete ein Teil seiner Familie aus Afghanistan, Salimi war da erst zwölf Jahre alt.
Nur noch vage Umrisse erkennbar
"Auf dem Weg nach Österreich war die medizinische Versorgung nicht so gut“, umschreibt er die Zeit behutsam. "Die Netzhaut hat sich abgelöst.“ Seine Sehkraft schwand, nur noch Umrisse kann er vage erkennen.
Neun Jahre später plant der Afghane aber sein Leben in der neuen Heimat, Graz, zuversichtlich trotz des Handicaps: Er will sich in der IT-Branche selbstständig machen, Kenntnisse über Software- und Webentwicklung hat er autodidaktisch erworben.
Wie sich Salimi selbst Deutsch beibrachte
Doch zuvor stand Deutsch lernen am Programm, eine doppelte Hürde für den schwer sehbeeinträchtigten Flüchtling. "Am Anfang wollte mich keine Schule aufnehmen. Sie haben befürchtet, dass sie mir nichts beibringen können, weil ich ja nicht sehen kann. Ich konnte ja nicht einmal richtig in meiner eigenen Sprache schreiben.“
Das habe ihn dann noch mehr motiviert, sich selbst etwas beizubringen, beschreibt er, und lernte Deutsch erst einmal durch Zuhören und mit Audio-Guides.
Mittlerweile spricht Salimi fließend Deutsch, kann dank Brailleschrift lesen und am Computer schreiben, hat ein Gymnasium absolviert und einen Daueraufenthaltstitel in der EU.
Der 21-Jährige war der Erste, der eine barrierefreie Deutsch- bzw. Integrationsprüfung beim Österreichischen Integrationsfonds (ÖIF) absolviert hat.
Barrierefreie Prüfung
Diese Möglichkeit gibt es erst seit Mitte 2020, als das Integrationsgesetz für Asylwerber und subsidiär Schutzberechtigte entsprechend novelliert wurde.
Ich habe ein Jahr lang versucht, mich zu bewerben. Aber das war nicht so einfach, ich kann fast nichts sehen. Und dann ist da noch mein Migrationshintergrund
Das soll es Menschen mit Seh- oder Hörbeeinträchtigung leichter machen, die staatlich vorgeschrieben Deutschprüfungen zu absolvieren: So werden Betroffenen Hilfsmittel angeboten – Braille-Zeilen oder induktive Höranlagen –, die Prüferinnen und Prüfer werden entsprechend geschult.
Hemmschwelle ist groß
Seit 2021 wurden 100 Prüfungen auf diese Weise durchgeführt, berichtet Eva Hercsuth vom ÖIF. "Der Bedarf wächst. Aber es ist leider so, dass die Hemmschwelle betroffener Personen groß ist, sich bei uns deshalb zu melden. Es gibt viele Länder, in denen eine Behinderung als Schande gilt“, schildert die Expertin. "Deshalb versuchen viele, sie zu verheimlichen.“
Zurzeit wird durchschnittlich einmal pro Woche eine barrierefreie Prüfung absolviert. Oftmals reichen simple Hilfestellungen, vergrößerte Unterlagen oder Kopfhörer: "Wir laden die Leute auch vorher ein, gerne zu uns zu kommen und vorab zu sagen, was sie für die Prüfung benötigen.“
Arbeit am PC
Stark sehbeeinträchtigte oder blinde Menschen können dank weiterentwickelter Technik Computer nützen: So lesen Screenreader Texte vor oder übertragen sie an tastbare Braillezeilen
Barrierefreiheit
Für diese Personengruppe ist zudem Barrierefreiheit im Internet wichtig. Damit die technischen Hilfsmittel für Sehbeeinträchtigte funktionieren, müssen Homepages gewisse Vorgaben einhalten. So ist es z. B. notwendig, Bilder mit Alternativtexten zu versehen oder Schaltflächen zu beschriften, damit sie die Screenreader erfassen können
Jaser Salimi hat seine Prüfung auf B1-Level mithilfe seines Notebooks, das er sich selbst kaufte, sowie einer Braille-Zeile abgelegt, für deren Erwerb es Unterstützung vom Sozialministerium gab.
Berufsziel: Unternehmer
Nun plant er seine Zukunft als Unternehmer, denn eine Chance auf Anstellung habe er kaum, bedauert er. "Ich habe ein Jahr lang versucht, mich zu bewerben. Aber das war nicht so einfach, ich kann fast nichts sehen. Und dann ist da noch mein Migrationshintergrund.“
Aber nicht alle Afghanen "seien so, wie oft in der Zeitung steht“, hält der 21-Jährige fest, "Unruhestifter. Aber meine Freunde und ich sind selbst überrascht, wenn wir das lesen. Ich kenne viele aus Afghanistan, aber wir sind nicht so.“
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