Strenge Geschlechtertrennung
„Das ist so verinnerlicht, dass auch männliche und weibliche Verwandte in einem Raum nicht miteinander sprechen“, so Rasuly-Paleczek. Der Ehepartner wird von den Eltern ausgesucht. Frauen hören früh, dass sie weniger wert seien. Und sie sind nicht sichtbar: „Sie werden oft nicht einmal mit dem Namen, sondern als ‚Frau von ...‘ angeredet. Man darf andere nicht fragen, wie es der Schwester oder Frau geht“, so Güngör. „Hier geht es um eine Beschmutzung der Familie, über Frauen spricht man nicht. Das wäre so schambehaftet, wie wenn sich bei uns jemand öffentlich entblößt.“ Die Rolle der Frau sei Sittsamkeit: „Keuschheit als Lebensstil. Es geht nicht nur um Sexualität. Darunter fällt auch, nicht in der Öffentlichkeit zu sein und nicht von Blicken ‚besudelt‘ zu werden.“
Das Tabu der Sexualität
In Afghanistan ist das Thema Sexualität tabu. „Oft wird das so gelöst, dass schon mit 15 Jahren geheiratet wird“, erklärt Güngör. In Österreich kann der Umgang mit Sexualität unbeholfen, aber auch problematisch sein.
„Manche haben ein falsches Frauenbild, keine Erfahrungen oder Vorstellungen von romantischer Liebe, die uns veraltet erscheinen“, erklärt Rasuly-Paleczek. Aus den hier üblichen Darstellungen von Frauen folgerten manche, der Westen sei amoralisch. „Aber man kann hier nicht verallgemeinern.“
Die sexuelle Frustration bei jungen Männern könne eine Rolle spielen, sagt Güngör: „Sexualität ist überall sichtbar, aber für sie oft nicht erreichbar. Manche entwickelt dann eine Frustrationsaggression gegen das Begehrte, das nicht erreichbar ist.“
Nirgends erwünscht
Weil sie vor Verfolgung flüchten oder Arbeit suchen, gehen Afghanen oft nach Pakistan oder in den Iran – aber dort gelten sie als Menschen zweiter Klasse. „Zu den ärmsten Gruppen in Afghanistan zählen die Hazara“, erklärt Rasuly-Paleczek. Die aussichtslose Situation bewegt viele dann dazu, die Flucht nach Europa zu wagen.
Der Weg nach Österreich
„Legale Migration ist kaum möglich, verfolgte Journalistinnen und Richterinnen können nicht in Kabul in ein Flugzeug steigen. Aktivitäten von NGOs zu ihrer Rettung wurden vom Innenministerium bisher boykottiert“, sagt Rasuly-Paleczek. Daher sind die Menschen auf Schlepper angewiesen: Da die Routen gefährlich sind, gehen meist junge Männer. „Die Flucht nach Österreich dauert Monate. Unterwegs werden manche Burschen misshandelt oder vergewaltigt. Viele kommen hochgradig traumatisiert an.“
Angekommen im Nichtstun
Einig sind sich die befragten Experten, dass Untätigkeit nach der Ankunft kontraproduktiv ist. „Ein Problem sind lange Wartezeiten in den Asylverfahren. Burschen leben in Containern und können den ganzen Tag nur spazieren gehen. Da können auch Traumata wieder hochkommen“, konstatiert Rasuly-Paleczek.
Stigmatisierung
„Wenn Übergriffe passieren, bekomme ich SMS von Afghanen, dass sie sich schämen, Afghanen zu sein“, erzählt Güngör. Afghanen seien stigmatisiert – zugleich zeigten manche ein problematisches Frauenbild oder eine erhöhte Gewaltbereitschaft. „Wir denken oft dualistisch in der Einteilung: Täter – Opfer. Aber in diesem Fall können sie beides sein“, sagt Güngör.
Wichtig sei, nicht zu verallgemeinern, sagt Rasuly-Paleczek: „Die Stigmatisierung einer ganzen Gruppe ist ungerecht. Viele haben Bildungsambitionen und wollen in Österreich etwas leisten.“
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